2008. április 29., kedd

806 - Regierungskrise in Ungarn - Interessen des Landes über Machtgerangel vergessen - Zukunftsfähige Ideen werden durch handwerkliche Fehler verdorben - Reformen sind zwingend notwendig

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Betreff: Google Alert - Ungarn

Ungarn: „Die Lage ist sehr ernst

28.04.2008 | 18:49 |  OLIVER GRIMM (Die Presse)

Der einstige Musterschüler ist hinter seine Nachbarn in Osteuropa zurückgefallen. Steuerrecht und Budget bedürfen harter Reformen. Doch dazu fehlt den Politikern der Mut.

WIEN/BUDAPEST. Schlechte Nachrichten kommen auch in Ungarn selten allein. Einen Tag, nachdem die Liberale Partei verkündete, die Regierung unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány am 30. April zu verlassen, musste das nationale Statistikamt den Anstieg der Arbeitslosigkeit im ersten Quartal auf acht Prozent verkünden.

In Europas am schwächsten wachsender Volkswirtschaft arbeiten jetzt nur mehr 3,84 Millionen von rund zehn Millionen Bürgern. Noch weniger zahlen Steuern. Jeder zweite Arbeitslose hatte vor mehr als einem Jahr die letzte Stelle. Erfreute sich Ungarn nach der Wende jahrelang hohen Wirtschaftswachstums, so schleppte sich die Ökonomie in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres mit blutleeren 0,8 Prozent Wachstum dahin. So schwach war das BIP-Wachstum zuletzt im Jahr 1996.

Der einstige postsozialistische Vorzugsschüler Ungarn ist weit hinter Nachbarländer wie die Slowakei oder Rumänien zurückgefallen. Das hat nach Ansicht von OECD, Weltbank und ungarischen Experten einen Hauptgrund: Eine Staatsgläubigkeit, die jede Reform der maroden öffentlichen Finanzen unmöglich macht, weil jeder mutige Politiker befürchten muss, den Zorn der Bürger auf sich zu ziehen. Erst nach den nächsten Wahlen könnte sich das ändern.

Das höchste Defizit der OECD

Das ist eine kulturelle Frage“, sagt László Szécsényi vom Budapester Büro von Schönherr Rechtsanwälte zur „Presse“. „Wir ziehen eine gewisse Bürokratie seit 100 Jahren mit uns. Darum wurden wirtschaftspolitische Entscheidungen auch nach der Wende immer erst unter dem Gesichtspunkt der Staatsfinanzen getroffen.“

Szécsényi bringt ein anschauliches Beispiel. Mitte der 90er Jahre regulierte Ungarn das Rechtsinstitut des Lagerscheins neu. Mit diesem Papier macht man das Eigentum an einer Sache geltend, die in einem Lagerhaus liegt. So etwas habe es in Ungarn seit jeher gegeben, sagt Szécsényi. Doch bei der Reform des Lagerscheins hatte man Sorge, dass es künftig zu Problemen bei der Eintreibung der Umsatzsteuer geben könnte. Und darum verschafft der ungarische Lagerschein kein Eigentum, sondern nur einen Anspruch auf Herausgabe der Ware. Dafür hat die Steuerbörde den Lagerhalter als Anknüpfungspunkt, um die Umsatzsteuer einzutreiben – auch wenn diese Regelung Sand im Getriebe der Wirtschaft ist.

„Unsere Steuerbehörden sind modern – aber viele Bürger nehmen es noch immer als gegeben an, dass der Staat all ihre Probleme löst“, sagt Zoltán Nádasdy von Wolf Theiss Rechtsanwälte in Budapest. Darum werde jeder Reformversuch als „Angriff auf ihre Lebensweise“ verstanden – und entsprechend hart bekämpft. „Man müsste die Steuern senken und das Budget von der Kostenseite sanieren“, schlägt Nádasdy vor.

Das sieht auch die OECD so. Anfang April hielt sie fest, die Regierung müsse an „ihrem Plan festhalten, das Staatsdefizit – gegenwärtig das höchste in der OECD – bis zum Jahr 2010 auf unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken.“ Davon ist Budapest weit entfernt: Das Defizit liegt derzeit bei 5,5 Prozent.

Spitäler wie in den 70er Jahren

„Wenn Sie in einen ungarischen Supermarkt gehen, fühlen Sie sich wie in Österreich“, sagt Szécsényi. „Unsere Krankenhäuser aber schauen noch genau so aus wie in den 70er Jahren.“ Sein Kollege Nádasdy pflichtet bei. „Die Menschen müssen einsehen, dass man Ungarn nicht mit dem reichen Schweden vergleichen kann.“

„Marktwirtschaft ist schön – aber sozialistische Paradigmen verlernt man nicht so schnell“, resümiert Szécsényi. „Die Lage

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2008)

28. April 2008, 14:29, NZZ Online

Regierung in Ungarn umgebildet

Nach dem Bruch der Regierungskoalition in Ungarn hat Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany sein Kabinett umgebildet. Die drei scheidenden liberalen Minister für Wirtschaft, Gesundheit und Umwelt werden durch sozialistische Politiker ersetzt. Darüber hinaus werden ein neues Ministerium für Verkehrs-, Nachrichten- und Energiewesen sowie ein ressortfreies Ministerium für Wissenschaftspolitik geschaffen.

(sda/dpa) Zum Bruch der Koalition war es Ende März gekommen, nachdem der Sozialist Gyurcsany die Gesundheitsministerin Agnes Horvath ohne vorherige Absprache aus dem Amt entlassen und ein Ende der Wirtschaftsreformen verkündet hatte.

Ihr Nachfolger wird Tamas Szekely, bisher Generaldirektor der staatlichen Krankenversicherung. An die Stelle von Wirtschaftsminister Csaba Kakosy rückt der bisherige Minister für Gemeindeverwaltung und Regionalentwicklung, Gordon Bajnai.

Im neu organisierten Ressort behält er die Zuständigkeit für die Regionalentwicklung - und damit für die EU-Fonds -, tritt aber zugleich jene für Verkehr, Nachrichtenwesen und Energie an das neue Infrastruktur-Ministerium ab. An dessen Spitze berief Gyurcsany den bisherigen Generaldirektor der Ungarischen Post, Pal Szabo.

Nach dem Austritt des Juniorpartners SZDSZ (Bund Freier Demokraten) will Gyurcsany mit einem Minderheitskabinett weiterregieren, das die Liberalen von aussen unterstützen wollen. Die Regierungsumbildung kommt erst nächste Woche zum Tragen, da das Parlament zuvor noch die neue Regierungsstruktur billigen muss.

28. April 2008, 14:29, NZZ Online

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Rechtsextremismus | 28.04.2008

Rechtsruck in Ungarn

Seit einigen Monaten verbreiten sie Schrecken, bevorzugt in den Vierteln und Städten Ungarns mit hohem Roma-Anteil: die Anhänger der rechtsextremen Partei „Jobbik“. Fast täglich marschieren sie auf.

Zunächst die Regierungskrise wegen koalitionsinterner Streitereien und dann die so genannte "Lügenrede" von Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány sind ein gefundes Fressen für die Rechtextremen in Ungarn. Seither kann man sie beinahe jeden Tag auf den ungarischen Straßen sehen und hören, denn sie marschieren und demonstrieren vor allem gegen die von ihnen so bezeichnete "Zigeunerkriminalität". Allen voran die Mitglieder von "Jobbik", was übersetzt die "Rechteren" oder "Besseren" heißt. Aber auch ihr Ableger, die Wehrsportgruppe "Magyar Garda", Ungarische Garde, verbreitet Schrecken.

Das Internet als Medium und Austausch für die ungarischen Rechten

Sie singen Loblieder auf die weiße Rasse und Hetzparolen gegen Juden oder Roma. Rassismus ist in Ungarn nur einen Mausklick entfernt, denn zahlreiche Lieder der Rechtsextremen kann man im Internet finden. Eines davon ist "Majmok", das "Affen" bedeutet. Es diffamiert die rund 600.000 Roma im Land als Sozialschmarotzer und jeder kann das Lied im Internet-Portal "You Tube" abrufen: "Nemzeti Rock" – Nazi-Rock auf Ungarisch.

"Ich verdiene die Stütze, von der ihr lebt", heißt es im Text und im Refrain werden die "Affen" symbolisch für die ungarischen Roma-Familien verwendet. Das ist ganz nach dem Geschmack von Gábor Szabó. Er leitet das Büro der rechtsextremen Partei "Jobbik" und meint, dass es nicht um die Zigeunerfrage gehe. "Es geht um Zigeunerkriminalität. Das Thema ist tabu. Wir wollen das ändern." Jobbik wolle vor allem Spezialeinheiten bei der Polizei, ähnlich wie die Anti-Terror-Einheiten. Die Regierung und die Gesellschaft müssen hier Härte zeigen.

Trommeln, Stiefel im Gleichschritt, rot-weiß-gestreifte Fahnen und Männer und Frauen in Phantasie-Uniformen: Seit vergangenem Sommer hat "Jobbik" eine eigene "Parteiarmee" – tatsächlich angelehnt an die Sturmabteilung (SA) der Nazis in Deutschland. Zu Kundgebungen und Demonstrationen marschieren die Männer und Frauen der "Ungarischen Garde" so durch Roma-Viertel wie Olaszliszke, Kerepes, Tatárszentgyörgy und verbreiten Schrecken.

Bei den Roma dort geht die Angst um. "Wer keine hat, der ist einfach nur dumm", sagt ein junger Roma. Die Rechtsextremen sind gut untereinander und mit anderen Organisationen vernetzt, sogar mit der NPD in Deutschland. Ihre Feindbilder geben sie offen und eindeutig preis: die linksliberale Regierung in Ungarn, Juden, Roma und Homosexuelle. Endre Bojtár, Chefredakteur der liberalen Wochenzeitung "Magyar Narancs" hat sich mit dieser Weltansicht auseinander gesetzt: "Alles Schlechte ist das Werk des Westens, der Juden, der ungarischen Verräter." Traurig sei daran, dass gerade bei den Rechtsextremen die völkische Ideologie ist lebendig geblieben sei.

Gegen alles und jeden, der anders ist als sie

Auch in den Medien spürt man den Aufwind der Rechtsextremen: Ein offen antisemitischer Zeitungsartikel des Publizisten Zsolt Bayer in der Zeitung "Magyar Hírlap" erregte jüngst Aufsehen. 100 Intellektuelle wandten sich zwar in einem offenen Brief gegen den Hetz-Artikel und seinen Verfasser, dennoch sei der Geist des Antisemitismus aus der Flasche, meint Ernö Lazarovics, vom Verband der Ungarischen Jüdischen Gemeinden MAZSIHISZ. "Da erhalten Rabbiner Hassbriefe und jüdische Friedhöfe werden vandalisiert. Nach der politischen Wende trat das alles offen ans Licht."

Im Parlament sitzt zwar derzeit keine rechtsextreme Partei, aber die Politik mache es den Rechtsextremen leicht, meint Lászlo Láner. Er gibt das Schwulenmagazin "Mások", übersetzt "Die Anderen", heraus. Bei der letzten "Gay Pride Parade" beobachtete er, wie Teilnehmer angegriffen wurden wegen ihrer Homosexualität. "Da wurden Parolen gerufen wie "Juden in die Donau. Und die Schwulen hinterher", erzählt Láner. Es seien Hetz-Transparente hochgehalten worden und die Polizei habe zugeguckt. All das sei sogar in Videos dokumentiert worden und dennoch sei keiner deswegen belangt worden. "Das ermutigt solche faschistischen Gruppen natürlich: Sie können machen, was sie wollen", meint Láner.

Machtlose ungarische Regierung

Die größte Oppositionspartei, der rechtskonservative Bürgerbund Fidesz, will nun an die zwölf Prozent der rechtsextremen Wähler heran. Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány von den Sozialisten scheint machtlos dagegen zu sein. Zwar kritisierte er die Aufmärschen der "Ungarischen Garde" und bezeichnete sie als "Nationalsozialismus pur", doch ein Volksverhetzungsparagraph, der bereits vom Parlament verabschiedet wurde, steckt noch immer beim Staatspräsidenten in der Warteschleife.

Über ein Verbot der Ungarischen Garde entscheidet die Budapester Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls erst Mitte Mai, während die ungarischen Rechtsextremen vorerst ungestört weiter marschieren.

Stephan Ozsváth

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 Ungarn | 28.04.2008

Regierungskrise in Ungarn

Seit Monaten schwelt ein Streit zwischen den Regierungspartnern in Ungarn. Die Liberalen haben die Koalition am Sonntag verlassen. Ministerpräsident Gyurcsany stellte nun seine Minderheitsregierung vor.

Schon seit langem stehen in Ungarn wirtschaftliche und soziale Reformen an, aber die Meinungen der Politiker darüber gehen auseinander. Nun ist die Koalition aus Sozialisten und Liberalen endgültig zerbrochen. Die liberale Allianz Freier Demokraten beschloss am Sonntag mit überwältigender Mehrheit, das Kabinett des sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany zu verlassen. Da vorgezogene Neuwahlen für beide Lager - Sozialisten wie Liberale - nicht in Frage kommen, da dabei die konservative Opposition als lachender Dritter gewinnen könnte, will Gyurcsany vorerst mit einer Minderheitsregierung weiterregieren. Für Fokus Europa fasst Andreas Meyer-Feist die Ereignisse in Ungarn zusammen.

Weitere Themen der Sendung am 28.04.2008 um 18:15 UTC:

Mehr als 1200 Juden hat er während des Zweiten Weltkrieges vor dem Holocaust gerettet: der deutsche Fabrikant Oskar Schindler. Er stellte die Juden in seiner Fabrik an und schützte sie so vor der Deportation. Weltweit bekannt wurde Oskar Schindler vor allem durch den Spielfilm Schindlers Liste, mit dem ihm Steven Spielberg ein filmisches Denkmal setze. Auch Israel ehrte Schindler mehrfach für seine Verdienste. Dennoch - das Leben des deutschen Fabrikanten war voller Widersprüche. Am Montag wäre Oskar Schindler 100 Jahre alt geworden. Für Fokus Europa hat Svenja Üing mit Fritz Backhaus, dem Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt, über das Leben des Oskar Schindler gesprochen.

Die Nazi-Herrschaft und die Frage, warum es so viele Mitläufer gab, war eines der großen Themen, die die Studenten 1968 in Deutschland auf die Straßen trieb. Aber es ging auch um Anderes, zum Beispiel die Angst vor einem totalitären Staat, Gleichberechtigung oder sexuelle Selbstbestimmung. Themen, die auch die Studenten in Frankreich bewegten. Sie errichteten in Paris Barrikaden gegen die Polizei und brachten fast den Staat zum Erliegen. Heute - 40 Jahre später - setzen sich die französischen Studenten mit dem Erbe der 68er-Generation auseinander - notgedrungen, wie Burkart Birke für Fokus Europa berichtet.

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Regierungskrise –

Nichts geht mehr?

 

Von Jan Mainka   

Montag, 28. April 2008

Je größer der Zugzwang, umso mehr suchen die vorgeblich regierenden Sozialisten ihr Heil in selbstverordneter Tatenlosigkeit. Sei es aus Angststarre, Ratlosigkeit oder Trotz. Es scheint, als würden die Regierung und ihr Hinterhof einen nicht deklarierten wilden Streik führen. Die Frage ist nur: Zu welchem Zweck?

Haben sie es vielleicht darauf angelegt, ihr Volk durch ihre ostentative Untätigkeit zu provozieren? Vielleicht solange bis aus der ungeduldigen Menge der Ruf erschallt ,,So tut doch endlich wieder etwas!“. Vielleicht will sich die Regierung auf diese Weise für neue Taten legitimieren und ihren erlahmten Reformeifer neu entflammen lassen.

Oder will sie ihre Probleme einfach nur in bester Kohlscher Manier aussitzen? Will sie sich solange im Nichtstun und in Ersatzhandlungen üben, bis sich die dunklen Wolken verzogen haben? Bis selbst die Opposition die Lust verloren hat, weiter auf die wehrlosen Koalitionäre einzuprügeln und gähnend von ihren geschundenen Körpern ablässt.

Buhlen um Mitleid oder Anerkennung?

Will sie es gar auf die Mitleidstour versuchen? In der Hoffnung darauf, dass zivilisierte Menschen einen am Boden Liegenden nicht weiter treten. Oder aus nüchternem Kalkül: Wenn ihr das Volk schon den Respekt für ihre Taten verweigert, vielleicht zollt es ja zumindest ihrem Durchhaltewillen Anerkennung. Auch Boxer, die sich nach einem schweren Niederschlag wieder aufrappeln, können sich zusätzlicher Sympathiepunkte beim Publikum sicher sein.

Vielleicht wollen die Regierungsparteien das Volk mit ihrem Streik aber auch einfach nur auf ihr Elend aufmerksam machen, von den falschen Leuten geführt zu werden? Sollen Kóka und Gyurcsány damit etwa zum Aufgeben gezwungen werden? Wobei sich die berechtigte Frage stellt, wer hier wen mit seinem Streik zum Aufgeben oder Einlenken zwingen möchte.

Immerhin fällt aber auf, wie offen bereits die Nachfolgefrage diskutiert wird – selbst innerhalb der beiden betroffenen Parteien. Schon sind die Spekulationen über mögliche Nachfolger interessanter als die Wortmeldungen der beiden Partei-Bankrotteure selbst. Die einzigen, die noch nicht bemerkt haben, dass sie ihre Posten de facto eigentlich schon los sind, scheinen inzwischen die beiden glücklosen Parteichefs selber zu sein.

Wäre das Land nicht in einem so schlechten Zustand, könnte man versucht sein, den Streikenden für den Rest ihrer Legislaturperiode viel Glück zu wünschen. Lieber keine Medizin als schlechte. Doch Vorsicht! Die liberale Vision vom Nachtwächterstaat könnte schnell durch die Horrorvision vom eingeschlafenen Nachtwächter getoppt werden. Ein Wegdämmern einiger weniger könnte rasch in einen Alptraum aller gipfeln.

Fakt ist, Ungarn kann sich keine schlafende oder gelähmte Regierung mehr erlauben. Immerhin hat das Land eine länger und länger werdende Aufgabenliste abzuarbeiten. Was wird beispielsweise mit der Gesundheits- und was mit der Steuerreform?

Reformen sind zwingend notwendig

Bis auf Populisten, Naivlinge und Ignoranten zweifelt inzwischen kein nüchtern denkender Mensch mehr an der Existenzberechtigung, ja zwingenden Notwendigkeit von Reformen. Sie sind heute so existenziell wichtig für Ungarn wie es Mitte der 90er das schmerzhafte, aber äußerst gesundheitsfördende ,,Bokros-Paket“ gewesen ist. Die größte Oppositionspartei sieht das gewohnheitsmäßig anders. Und hier kommen wir zum zweiten Verantwortlichen für die gegenwärtige Misere.

In Demokratien hat die Opposition gewöhnlich die Aufgabe, die Geschicke der Regierung kritisch zu verfolgen. Sie kontrolliert und erhebt gegebenenfalls ihr Wort. Angetrieben ist sie dabei vom gleichen Motiv wie die Regierung, nämlich ihr Heimatland auf Vordermann zu bringen. Sollte die Regierung in ihrem Aufbaueifer einmal erlahmen, ihr die Ideen oder das Personal verloren gehen, steht die Opposition – als quasi Grundstock einer Reserveregierung – bereit, das Ruder zu übernehmen und das Land sicher weiter voran zu steuern.

Zukunftsfähige Ideen werden durch handwerkliche Fehler verdorben

In Ungarn haben wir es mit einer grundlegend anderen Situation zu tun. Hier versuchen in erster Linie die Regierungsparteien ihr Land zukunftsfähig zu trimmen – wobei ihr allerdings erschreckend viele und große handwerkliche Fehler unterlaufen. Statt in dieser Situation nun korrigierend – im Sinne des Landes also helfend – einzugreifen, verlangt die größte Oppositionspartei einfach nur populistisch den Abbruch der schmerzhaften Reformvorhaben.

Die Situation des Landes ist mit der eines Krebskranken zu vergleichen. Während ausgerechnet die Sozialisten der Meinung sind, dass sich die bösartigen postsozialistischen Geschwüre in einem Stadium befinden, in dem nur noch eine radikale Operation hilft, scheint ihr Gegenpart die Lage nicht so dramatisch zu sehen. Statt mit befreienden Skalpellschnitten die Krankheit nachhaltig zu bekämpfen, will er dem leidenden Kranken lieber mit sozialromantischen Narkosemitteln die Schmerzen lindern – zumindest so lange der Vorrat reicht. Vielleicht kommt der Kranke ja auch ohne OP wieder auf die Beine.

Interessen des Landes über Machtgerangel vergessen

Während in westlichen Demokratien Regierung und Opposition ihr Land mehr oder weniger in die gleiche Richtung, nämlich Zukunft schieben, haben sich die beiden Seiten in Ungarn durch den Machthunger ihrer Spitzenkräfte derart in Rage gebracht und ihre eigentliche Aufgabe derart aus dem Blick verloren, dass sie zwar immer noch am gleichen Strang, aber in unterschiedliche Richtungen ziehen. Die Regierung eher in Richtung Zukunft, ihr Gegenpart eher in Richtung Vergangenheit. Die Opposition handelt dabei vermutlich weniger aus ehrlicher Überzeugung, als aus dem Wunsch ihrem Gegner zu schaden. Da beide Lager ähnlich stark sind, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die gegensätzlichen Kräfte einander neutralisieren und das Spiel erstarrt.

Dynamisierung durch Austausch der Teamchefs

Eine Frage der Vernunft der zerstrittenen Möchte-gern-Ärzte wäre es jetzt, wieder Bewegung ins Spiel zu bringen. Möglichst in Richtung Zukunft. Und wenn zu diesem Zweck die Teamchefs ausgetauscht werden müssen? Warum nicht? Das Glück von zwei oder drei machthungrigen Männern sollte nicht länger über das Schicksal von 10 Mio. Ungarn entscheiden! Auch das hat etwas mit Demokratie zu tun. Und auch mit dem von der Regierung propagiertem Fair Play.

Rien ne va plus! Nichts geht mehr? Muss aber!

 

Es gibt billigere Alternativen als Löcher durch die Berge

Aus heutiger Sicht mögen Eisenbahn-Tunnels durch die Alpen Sinn machen. Aber wie sieht es in 20 oder 30 Jahren aus? Die Projekte Semmering oder Brenner haben zwei entscheidende Nachteile: Sie sind unendlich teuer und es wird wohl noch Jahrzehnte dauern, bis sie fertig sind.

In der Zwischenzeit schläft der Hauptkonkurrent der Bahn nicht. Der Straßengüterverkehr baut schon jetzt seine Marktführerschaft aus. Und die Lastwagen der jüngsten Generation sind längst keine so großen Dreckschleudern mehr als ihre Vorgänger-Modelle.

Die Lastwagenerzeuger werden alles tun, um ihre Produkte so umweltfreundlich wie möglich zu machen. Was ist, wenn sich nach der Fertigstellung der Tunnels zeigt, dass die Bahn ein ebenso großer Umweltschädling ist wie die Konkurrenz auf der Straße?

So sehr wir uns jetzt danach sehnen, dass der Güterverkehr von der Straße auf die Schiene gelenkt wird, in einigen Jahren könnte die Sache ganz anders aussehen. Die Politiker täten gut daran, diese Tunnel-Projekte wirklich auf Herz und Nieren zu prüfen und intensiv über billigere Alternativen nachzudenken.

Vor allem gilt bei der Bahn, dass das nationale Denken keine Zukunft hat. Vielleicht gäbe es die Möglichkeit, die Alpen weiter östlich zu umfahren? Pläne dafür gab es schon zu Kaisers Zeiten als Ungarn noch bei Österreich war. Jetzt ist Ungarn zwar nicht bei Österreich, aber immerhin Teil der EU, genauso wie wir. Was spricht gegen eine Zusammenarbeit?.



OÖnachrichtenvom 28.04.2008 

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