2008. november 20., csütörtök

1.323 - Von Georg Paul Heft: Was in Ungarn schiefläuft - Ein Kampf mit Zähnen und Klauen

Betreff: Google Alert - Ungarn
Datum: Mi, 19. Nov 2008
Von: Google Alerts
An: József Kutasi - Dág/Magyarország

Google News-Alert für: Ungarn
Folgen der FinanzkriseWas in Ungarn schiefläuftVon Georg Paul Heft
Text: F.A.Z.

19. November 2008 Globale Spekulanten kennen die nationalen Festtagskalender, aber keine Rücksicht. Der Tag des spekulativen Angriffs auf den ungarischen Forint war mit dem 22. Oktober gut gewählt. Am Vorabend des Nationalfeiertags im Gedenken an den Aufstand von 1956 musste die Überraschung gelingen. Der Forint verlor etwa ein Fünftel seines Wertes. Innerhalb weniger Tage hatten ausländische Investoren fünf Milliarden Euro abgezogen, darunter mehr als drei Milliarden Euro aus ungarischen Staatsanleihen. Nur die Bereitschaft des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Union und der Weltbank, dem Land zwanzig Milliarden Euro als Kredit zu gewähren, bewahrte Ungarn vor der Zahlungsunfähigkeit.
Ungarn wurde zum Hilfsbedürftigen. Doch nicht nur, weil die internationale Finanzkrise die Hemmschwellen gesenkt hatte und mancher Spieler seine Verluste an anderer Stelle nun hier auszugleichen suchte, sondern auch, weil das Land viele Blößen zeigt. Schon im Wendejahr 1989 wurde es durch ein großes Missverständnis zurückgeworfen: Investitionswillige Westeuropäer und Amerikaner hielten das Land, das stets ein mitteleuropäisches war, für ein osteuropäisches. Die Ungarn reagierten darauf ebenso falsch: Sie strebten nach Wohneigentum statt Betriebseigentum und versäumten es, mit aktienrechtlichen und genossenschaftlichen Zusammenschlüssen ihre eigene Nachfolge bei der Aufteilung des „Volksvermögens" zu sichern.
Ein Kampf mit Zähnen und Klauen
Dies hätte das Selbstbewusstsein der Bevölkerung gestärkt und die gesamte Landespolitik auf eine andere Grundlage gestellt. Seither aber fühlen sich breite Schichten als Opfer der „Verhältnisse". Hatte zunächst die Sozialistische Partei die Unzufriedenen gesammelt und gegen die bürgerlichen Regierungen Antall und Orbán ins Feld geführt, so schart in diesem Jahrzehnt der Bürgerallianz-Chef Orbán die Unzufriedenen um sich, um mit ihnen die Sozialisten – seit vier Jahren unter Führung von Ministerpräsident Gyurcsány – aus den Sesseln der Macht zu vertreiben. Dieses Wechselspiel ist allerdings nicht der übliche Wettstreit von Parteien, sondern ein Kampf mit Zähnen und Klauen, der die Gesellschaft in zwei verständigungsunfähige Lager gespalten hat.
Noch reicht der Schock des Fast-Bankrotts nicht aus, die Gegensätze zu überwinden. Zu groß ist die Aussicht Orbáns, die Wahl im Jahre 2010 zu gewinnen, als dass er jetzt den Kompromiss oder gar einen Konsens bei der Bewältigung der Krise und der Erfüllung der Auflagen des Währungsfonds und der EU suchte. Daher darf ein Abgeordneter seiner Partei namens Tasó im Parlament so über den Etat und die – fast ausschließlich ausländischen – Banken herziehen, dass der liberale Abgeordnete Böhm nur ausrufen kann: „Hoffentlich gelangen diese Aussagen nicht ins Ausland!" Orbáns Lager will aber den Volkszorn am Köcheln halten. Das fällt umso leichter, als Regierungschef Gyurcsány nach eigenem Bekunden erst seit zwei Jahren die „richtige" Politik macht, obwohl er schon seit vier Jahren regiert.Am Ende der Krise winkt wieder die Opferrolle
Was in Ungarn alles schiefläuft, lässt sich an den Beispielen des Minimallohns und der jüngsten Zinsentwicklungen veranschaulichen. Der steuerfreie Mindestlohn – nominell etwas mehr als dreihundert Euro – ist in weiten Teilen nicht der niedrigste, sondern der übliche Lohn. Das führt zu Renten, die unter den Lebenshaltungskosten liegen. Um dies wettzumachen, haben die beiden großen Parteien in seltener Einmütigkeit eine dreizehnte Monatsrente eingeführt, die nun dem Währungsfonds ein Dorn im Auge ist. Zwar legen manche Arbeitgeber langjährigen Angestellten etliches auf den Mindestlohn drauf, dies geschieht aber an der Steuer und der Sozialversicherung vorbei. Die Ausbreitung des gesetzlichen Mindestlohns hat zugleich dazu geführt, dass die Gewerkschaften schwach blieben. So gibt es tatsächlich niemanden, der mit Aussicht auf Erfolg eine gesunde Lohnstruktur durchsetzen könnte.
Ebenso absurd, wenn auch auf andere Weise, ist die gegenwärtige Zinsschraube. Hatten sich ungarische Privatleute und Firmen wegen günstigerer Bedingungen in den letzten Jahren zunehmend in ausländischen Währungen verschuldet, so steckt bei der Rückkehr zur Notlösung „Arbeitslohn und Schulden in derselben Währung" der Teufel im Detail. Da die ungarischen Banken auf Anweisung ihrer ausländischen Muttergesellschaften nur das Geld ausleihen dürfen, das sie im Lande als Einlagen hereinholen, hat ein Wettbewerb mit hohen Zinsversprechen eingesetzt. Dies wiederum führt zu Kreditzinsen um die 15 Prozent, die bei Dispokrediten auf 25 Prozent steigen. Die Pointe ist: Die Schuldzinsen zahlen die Ungarn, an den Guthabenzinsen partizipieren – auch oder vor allem – ausländische Anleger.
Greift das dem Land auferlegte Konsolidierungsprogramm, dann werden die Realeinkommen schon von Staats wegen nicht nur im öffentlichen Dienst spürbar sinken. Haben die Ungarn bisher über ihre Verhältnisse gelebt, so können sie nun der Rezession nichts entgegensetzen. Aber nicht der Streit darüber wird die Zukunft prägen, sondern das kollektive Bewusstsein am Ende der Krise. Es ist abzusehen, dass die Bevölkerung sich wieder als Opfer fühlen wird, statt sich im Stolz zusammenzufinden, eine große Gefahr gemeistert zu haben.
Auch der Schock eines
Fast-Bankrotts bringt die zerstrittenen Parteien
dem Konsens nicht näher.
Text: F.A.Z.
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