2010. április 22., csütörtök

5.600 - Rheinischer Merkur Nr. 16, 22.04.2010 > VIKTOR ORBAN > Der Taschenspieler!

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Betreff: Der Taschenspieler

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Rheinischer Merkur Nr. 16, 22.04.2010

Der Taschenspieler

VIKTOR ORBAN / Erneut ist der Rechtspopulist ungarischer Ministerpräsident geworden. Mit einem Sieg in einem zweiten Wahlgang könnte er die Verfassung ändern

 

 

http://www.merkur.de/image/roterpunkt.gifVON SEBASTIAN GARTHOFF, BUDAPEST

Viktor Orban ist nach acht Jahren mit einem Erdrutschsieg bei den ungarischen Parlamentswahlen wieder an die Macht gelangt. Im weiten Wahlgang am kommenden Sonntag könnte seine Partei Fidesz, der Bund junger Demokraten, eine Zweidrittelmehrheit und damit eine Machtfülle erreichen wie keine Nachwenderegierung in Ungarn zuvor. Schon im Vorfeld ließ Orban die reale Chance durchblicken, dass eine zentrale politische Kraft in den nächsten 15 bis 20 Jahren Ungarns Politik bestimmen wird. Ein „viktorianisches Zeitalter“ deutet sich an.
Viktor Orban hat mit 46 Jahren noch einen Großteil seines politischen Lebens vor sich. So sehr sich der verheiratete fünffache Familienvater seit seinen Anfängen gewandelt hat, so wandelte sich auch das Land. Von der einst „fröhlichsten Baracke“ im Lager wurde Ungarn zu einem der kranken Männer Europas, einer Gesellschaft, die sich lieber nationalen Mythen als internationalen und wirtschaftlichen Realitäten hingibt. Ebenso wie der Wandel des Landes wirft der Wandel seines führenden Politikers Fragen auf.


Trotz seines relativ jungen Alters ist Orban schon jetzt einer der erfahrensten Politiker des Landes und neben den „Postkommunisten“ die einzige politischen Konstante der letzten 20 Jahre. Sein Stern ging 1989 auf, als er bei der Neubestattung der Märtyrer des Volksaufstandes von 1956 vor Zehntausenden den Abzug der russischen Truppen forderte. Während das Alte zu Grabe getragen wurde, betrat Orban die Bühne und ließ sich seitdem nicht mehr von ihr verdrängen. 1998 wurde der außerordentlich begabte, kühne Politiker zum ersten Mal Ministerpräsident.

 


Orban und seine 1988 gegründete Partei fingen zunächst als Linksliberale und Antiklerikale an. Mit den Jahren wurden sie aber erzkonservativ und erzreligiös. Zudem noch populistisch und damit einer zweckbedingten Zusammenarbeit mit der radikalen Rechten nicht mehr abgeneigt. Auch heute wird dem Fidesz immer wieder vorgeworfen, sich nicht deutlich von der rechtsextremen Jobbik-Partei abzugrenzen, die drittstärkste Kraft bei den Wahlen wurde.


„In Ungarn waren historisch weniger Konservativismus und Sozialdemokratie entscheidende Pole bei der Politikgestaltung, sondern Nationalismus und Liberalismus“, erklärt dazu Jürgen Dieringer, Politikprofessor an der Andrássy Gyula Deutschsprachige Universität Budapest. Die Linke stamme aus der Geistesströmung des Liberalismus und beinhalte eine starke kosmopolitische Orientierung. „Das konservative Lager in Ungarn beinhaltete eine habsburgfeindliche Komponente; und die Idee der eigenständigen Nation war im 19. Jahrhundert sehr bedeutend. Deshalb hat sich der Nationalismus als entscheidende Strömung durchgesetzt und das bürgerliche Lager stark geprägt. Es gibt kaum eine Kluft zwischen dem bürgerlichen und dem rechtsradikalen Spektrum, die Linien sind durchgängig.“


Orbans aggressives Auftreten führten zur Abwahl 2002, vier Jahre später verliert er die Wahlen erneut. Doch von der Macht hat er sich nie verabschiedet. Nach der Lügenrede des sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany, in der er vor Parteigenossen 2006 zugab, die Wähler bewusst über den Zustand des Landes getäuscht zu haben, will Orban ihn „aus dem Amt jagen“. Monatelange Demos folgen. Gyurcsany ging nicht, doch Orban verweigerte konsequent jede Zusammenarbeit mit der als illegitim empfundenen Regierung. „Das geht doch nicht, dass die Heimat in die Opposition muss“, sagte Orban damals.


Schon während seiner Zeit als Regierungschef ließ Orban keinen Zweifel an seinem Alleinherrschaftsanspruch. Alle Kräfte rechts der Mitte wollte er unter dem Schirm des Fidesz assimilieren, was ihm bis auf die widerspenstige Wendepartei und damaligen Koalitionspartner, dem Ungarischen Demokratischen Forum (MDF), auch gelungen ist. Zudem spielte er die nationale Karte, bezeichnete „ausländisches Kapital“ als Gefahr für Heimat und Familie und ließ in einer pompösen Zeremonie die Stephanskrone, das Symbol des ungarischen Königreiches, vom Nationalmuseum ins Parlament schaffen. Der Hang zum Pathos spiegelte sich auch aktuell wider, als er den Wahlsieg mit historischen Daten wie dem Volksaufstand von 1956 oder der Wende 1989 gleichsetzte.


Nun steht Orban in der von ihm selbst formulierten Pflicht, das Land in allen Bereichen voranzubringen. „Ich stehe vor der größten Aufgabe meines Lebens“, sagte er am Wahlabend, und die Fakten geben ihm recht. Die Arbeitslosigkeit befindet sich auf dem höchsten Stand seit 17 Jahren, Korruption ist weitverbreitet. Um die Wirtschaft auf Kurs zu halten, wird auch er ums Sparen und um eine weitere „Politik der Opfer“ nicht herumkommen. Eine Million Arbeitsplätze will er in den nächsten zehn Jahren schaffen, doch über das „Wie“ fiel bislang kein Wort. Das könnte dazu führen, dass die nationalistische Linie im Vordergrund stehen wird, wie ungarische Pässe für Auslandsungarn und Doppelstaatsbürgerschaften für ungarische Minderheiten in der Slowakei und Rumänien. Auch das Thema Rechtsextremismus bleibt weiter virulent. Die Wahlen stellen keinen überraschenden Rechtsruck dar, sondern manifestierten nur eine kontinuierliche Entwicklung, deren Ende nicht abzusehen ist. Es ist die Frage, ob Orban es mit seiner Politik schafft, die ungarische Gesellschaft weg von den rechten Rändern wieder zurück in die Mitte zu holen.

 


Die Parteienkämpfe gehören der Vergangenheit an. Orban ist nun in der komfortablen Position, allein regieren zu können. Erreicht er beim zweiten Wahlgang am Sonntag die Zweidrittelmehrheit, kann er sogar die Verfassung ändern und eine von ihm favorisierte Präsidialdemokratie nach französischem Vorbild durchsetzen. Noch aber lässt sich nur spekulieren. Zudem sieht der Fidesz eine Verkleinerung des mit 386 Abgeordneten hinsichtlich der Größe des Landes unverhältnismäßig aufgeblähten Parlaments vor. Auch eine Halbierung der lokalen Selbstverwaltungen ist im Gespräch.


An Viktor Orban scheiden sich nach wie vor die Geister. „Ungarns Verführer“ nannte ihn die „Zeit“, für den „Spiegel“ war er „Der Seiltänzer von Budapest“. Gern verweist er auf seine Bewunderung für Berlusconi und seine Rolle als Vizepräsident der europäischen Volkspartei. Zugestehen muss man ihm, dass neben allen maulreißerischen Parolen seine erste Regierungszeit im Wesentlichen eine erfolgreiche war. Kein Zweifel besteht daran, dass Orban die dominante Figur seiner Partei bleiben wird, in der Gefolgsleute und Apparatschiks die Überzahl bilden.


Für eine Vielzahl der Ungarn wirkt er als der einzig verbliebene Hoffnungsträger, der das Land nach Jahren des innenpolitischen Stillstands wieder auf Vordermann bringen kann. Ob Führer oder Verführer, Taschenspieler oder Bruchpilot: Mit mehr hoffnungsvollen Erwartungen vor allem auch an seine Verantwortung hat noch kein ungarischer Ministerpräsident sein Amt angetreten.

© Rheinischer Merkur Nr. 16, 22.04.2010
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