2010. június 9., szerda

5.880 - Kutasi József: WELT ONLINE > Die neue Regierung in Ungarn muss den Sparkurs weiterführen, um die angeschlagenen Finanzen zu sanieren.

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WELT ONLINE

08.06.10|

Sparmaßnahmen Von Florian Hassel und Tobias Kaiser

Ungarn verspielt das Vertrauen seiner Bürger

Die Regierung in Budapest zerredet die Sanierungserfolge ihrer Vorgänger – und verliert durch falsche Versprechen die Gunst des Volkes.

Die neue Regierung in Ungarn muss den Sparkurs weiterführen, um die angeschlagenen Finanzen zu sanieren.

Es waren große Versprechen, mit denen sich Viktor Orbán und andere Führungsfiguren der konservativen Fidesz-Partei im April zurück an die Macht in Ungarn brachten: Unternehmen und Bürger könnten auf Steuersenkungen hoffen. Eine Million Arbeitsplätze werden geschaffen. Im Gegenzug für die schönen Versprechen gaben die Ungarn Fidesz im neuen Parlament 263 von 386 Sitzen.

Mit dieser Zweidrittelmehrheit könnte die neue Regierung nach Herzenslust regieren - wäre da nicht ein Haken: Es ist kein Geld da, um die schönen Versprechen zu erfüllen. Seit Ungarn im Herbst 2008 mit einem 20-Milliarden-Euro-Kreditrahmen von Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU vor dem Staatsbankrott gerettet wurde, hat das Land zwar beachtliche Fortschritte gemacht.

Doch die wirtschaftliche Sanierung ist nicht beendet. Ungarn müsse sowohl in diesem Jahr wie 2011 weiter sparen, um seine angeschlagenen Finanzen vollends zu sanieren, mahnte der IWF kurz vor der Wahl. Eben dies versprach den IWF-Kontrolleuren und der EU die scheidende, sozialistische Regierung.

Auch den Fidesz-Funktionären war klar, dass sie es sich nicht würden leisten können, ihre populistischen Versprechen des Wahlkampfes in die Tat umzusetzen. Noch vor der Wahl arbeiteten sie daran, die von ihnen geweckten Erwartungen wieder nach unten zu drücken - vor allem mit vorbeugendem Abschieben aller Schuld auf die Vorgänger.

Schon im März orakelte etwa Zsigmond Járai, unter Fidesz langjähriger Finanzminister, die wahre finanzielle Situation Ungarns sei viel schlimmer als von den noch regierenden Sozialisten unter dem parteilosen Premier Gordon Bajnai zugegeben.

Es werde unmöglich sein, das gegenüber dem IWF zugesagte Haushaltsdefizit von 3,8 Prozent in diesem Jahr einzuhalten. Kaum waren die Minister der Fidesz-Regierung am 29. Mai vereidigt, nahm die Diskreditierungskampagne der Vorgänger Fahrt auf.

Der Vize-Vorsitzende von Fidesz, Laios Kosa, machte den Anfang. Ungarn habe lediglich eine "sehr kleine" Chance, einen Beinahe-Staatsbankrott wie in Griechenland zu vermeiden, sagte Kosa am Mittwoch vergangener Woche. Ungarns Währung, der Forint, fiel postwendend um fast zwei Prozent. Trotzdem schüttete der Sprecher von Premier Orban, Peter Szijjarto, weiteres Benzin auf die Flammen.

"Es ist klar, dass die Wirtschaft in einer sehr ernsten Lage ist... Ich glaube, es ist keine Übertreibung", über einen Staatsbankrott zu sprechen, sagte er am Freitag vergangener Woche. Die dunklen Warnungen über eine angeblich desaströse Finanzkrise sollen die Ungarn nach übereinstimmender Meinung von Analysten auf weitere Sparmaßnahmen vorbereiten: Die wird die neue Regierung möglicherweise schon ab Dienstag verkünden - doch die Verantwortung noch der abgelösten Regierung geben.

Unter den etwa zehn Millionen Einwohnern sind die Magyaren die größte ethnische Gruppe (94,4 Prozent).

Die bedeutendste Minderheit in Ungarn sind Roma (zwei Prozent), in den letzten Jahren oft Opfer rechtsextremer Gewalt.

Andere ethnische Minderheiten sind Deutsche, Slowaken, Kroaten und Rumäner.

Rund 2,4 Millionen Magyaren wohnen in Rumänien, der Slowakei, Serbien, der Ukraine, Österreich und Kroatien – Gebiete, die bis 1918 zum Königreich Ungarn gehörten. Der ungeklärte Status ungarischer Minderheiten führte zu Konflikten mit Nachbarländern, dies wurde von Rechtsextremisten im Wahlkampf thematisiert.

Das politische Manöver schickte indes nicht nur Ungarns Währung, den Forint, auf Talfahrt, sondern auch die Börsen in Europa und an der Wall Street. Auch Aktienmärkte osteuropäischer Nachbarn rauschten stark nach unten. Und das, obwohl diese Länder ihre großen Krisen lange vor Griechenland erlebten und in den vergangenen 18 Monaten hart arbeiteten, um sich zu stabilisieren.

Und selbst der Euro leidet unter der ungarischen Episode: Sein Kurs rutschte rapide ab und sank am Montag unter die Marke von 1,19 US-Dollar und auf ein neues Vier-Jahres-Tief. Viele Anleger verkaufen offenbar Euro und kaufen stattdessen Dollar oder Schweizer Franken; Währungen, die immer noch als sicher gelten.

Die heftige Reaktion an den Finanzmärkten hat wenig mit den wirtschaftlichen Tatsachen in Ungarn und viel mit hoher Nervosität zu tun. "Anleger sind im Moment nervös und werden das auch noch eine Weile bleiben", sagt Nigel Rendell, Experte für Schwellenländer bei der Investmentbank RBC Capital Markets. "Die Unsicherheit wächst." Die Probleme der Eurozone und Sorgen um die Stabilität südeuropäischer Banken tragen sicherlich dazu bei.

Zusätzlich haben Anleger aber auch Angst, dass die weltweite Erholung sich abschwächt: Die Aussichten für die US-Wirtschaft verschlechterten sich und die chinesische Regierung könne ihre Ausgaben zurückfahren und damit die weltweite Erholung dämpfen. "Die Unsicherheit ist so groß, dass professionelle Anleger geradezu nach Anlässen suchen, um zu verkaufen", so Rendell.

Dabei ist ein Vergleich Ungarns mit Griechenland an den Haaren herbeigezogen: ganz gleich, ob es um die Höhe der Verschuldung geht, um die Finanzpolitik der Regierung oder den Wahrheitsgehalt ihrer Angaben gegenüber Investoren, EU und IWF. In Griechenland fand nach der Wahl im Herbst 2009 die neue, sozialistische Regierung Papandreou erhebliche Manipulationen der konservativen Vorgängerregierung Karamanlis und viel größere Haushaltslöcher als zugegeben vor.

Ungarn dagegen hat sich "sehr erfolgreich entwickelt", urteilt nicht nur Experte Rendell. Gewiss ist die wirtschaftliche Lage nicht rosig. Die Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 6,3 Prozent eingebrochen. Die Arbeitslosenrate erreichte im März einen Hochwert von knapp zwölf Prozent.

Doch auf der Plusseite hat sich die Wettbewerbsfähigkeit der ungarischen Wirtschaft auch gegenüber osteuropäischen Nachbarländern wie Polen, Tschechien oder der Slowakei verbessert, stellte Ende Mai eine Studie des Instituts für Wirtschaft der ungarischen Akademie der Wissenschaften fest. Anders als die mit einem bedrohlichen Zahlungsbilanzdefizit kämpfenden Griechen konnten die Ungarn 2009 wieder einen Zahlungsbilanzüberschuss verbuchen, steigen die Exporte. Mitte Mai erfreute der ungarische Statistikdienst KSH gar mit der Mitteilung, dass Ungarns Wirtschaft entgegen den Prognosen zu Jahresbeginn 2010 wieder leicht gewachsen war.

Vor allem war die nun abgewählte sozialistische Regierung in Budapest bei der schmerzhaften Sanierung des Haushaltes unbestreitbar erfolgreich. Seit 2006 sank das Haushaltsdefizit von 9,3 auf 3,8 Prozent 2008 und vier Prozent im Krisenjahr 2009. Anders als die Griechen mussten die Ungarn ihre an die EU gemeldeten Zahlen nicht ständig nach oben korrigieren. In ihrem letzten Bericht vom 22. April zum Stand der Regierungsschulden in der EU fand die Statistikbehörde Eurostat nichts an den Angaben aus Budapest auszusetzen.

Die Staatsverschuldung entspricht mit umgerechnet 71,75 Mrd. Euro 78 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung - weit entfernt von griechischen Werten. Die Zentralbank hat seit dem Herbst 2008 ihre Reserven fast verdoppelt, auf immerhin 34 Mrd. Euro, und zudem "hervorragende geldpolitische Entscheidungen getroffen", lobt Rendell.

Die Regierung wirtschaftete so solide, dass sie entgegen der ursprünglichen Planung vom 20-Milliarden-Euro-Kreditpaket 5,5 Milliarden Euro nicht in Anspruch nehmen musste. Der Anteil kurzfristig fälliger Verbindlichkeiten ist gering. Schon im Sommer 2009 konnte Budapest wieder erfolgreich eine Staatsanleihe in Euro verkaufen.

Das Vertrauen internationaler Investoren wuchs - auch, weil der IWF Ungarn in jeder seiner alle drei Monate stattfindenden Prüfungen ein gutes Zeugnis ausstellte. "Das Wirtschaftsprogramm der Regierung hat Ungarn auf einen Weg zu Stabilität und Wachstum gebracht... Alle vereinbarten Kriterien... und das Ziel zur Staatsverschuldung wurden erreicht", stellten die IWF-Inspektoren in ihrem letzten Prüfbericht Ende März 2010 fest.

Politische Beliebtheit ist mit einem solchen Sanierungskurs freilich nicht zu erreichen. Der nun ehemalige Premier Bajnaj strich das 13. Monatsgehalt im öffentlichen Dienst ebenso wie die 13. Monatsrente aller Rentner, fror Sozialleistungen ein, strich Staatsausgaben und erhöhte Verbrauchssteuern. Die Quittung für den wirtschaftlich soliden Kurs bekamen die Sozialisten mit ihrer Abwahl. Um die Konsolidierung fortzuführen, muss Ungarn - sprich: die nun regierenden Konservativen - in diesem Jahr noch einmal Staatsausgaben in Höhe eines weiteren halben Prozentes und 2011 nochmals gut eines Prozents der Wirtschaftsleistung streichen, kalkulierte der IWF Ende März.

Dass dies auch die neue Regierung weiß, gab am Montag auch Ungarns neuer Wirtschaftsminister zu erkennen. "Wir halten uns an das (von der Vorgängerregierung zugesagte) Haushaltsdefizit von 3,8 Prozent für dieses Jahr", bekräftigte Gyorgy Matolcsy. Steuersenkungen seien nun "keine Option" mehr. Und im Übrigen sei "Ungarn nicht Griechenland", versuchte der Minister das von seiner eigenen Regierung entfachte Feuer zu löschen und das Ende vergangener Woche verspielte Vertrauen zurückgewinnen.

Doch das wird nicht so einfach sein. Ungarns neue Regierung habe ihrem Image mit ihren rhetorischen Eskapaden "sehr ernsthaften Schaden zugefügt", urteilte Peter Montalto vom Investmenthaus Nomura gegenüber Reuters. "Es wird lange Zeit und eine Menge harter Daten benötigen, um die Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen."