2010. június 11., péntek

5.898 - DGAP-Experte Schuch im EurActiv.de-Interview > Hat Ungarns neuer Premier Viktor Orbán noch alles unter Kontrolle?

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Date: 2010/6/11
Subject: Google Alert - Politik aus Ungarn

Wahlen und Macht


Hat Ungarns neuer Premier Viktor Orbán noch alles unter Kontrolle?  Erst kündigt seine Regierung ein explodierendes Hauhaltsdefizit an, dann  rudert sie schnell wieder zurück. Foto: dpa.

Hat Ungarns neuer Premier Viktor Orbán noch alles unter Kontrolle? Erst kündigt seine Regierung ein explodierendes Hauhaltsdefizit an, dann rudert sie schnell wieder zurück. Foto: dpa.

Aktuell - Donnerstag 10 Juni 2010 - Wahlen und Macht

DGAP-Experte Schuch im EurActiv.de-Interview

Ungarn - Das Musterland ist frustriert

Ungarn spekulierte über eine Schuldenkrise á la Griechenland und schockte damit die Finanzmärkte. Offenbar wurden die finanzpolitischen Auswirkungen innenpolitisch motivierter Äußerungen unterschätzt, erklärt der DGAP-Experte Gereon Schuch im EurActiv.de-Interview. Die neue Regierung von Viktor Orbán habe sich mit großen Versprechen in eine schwierige Startposition gebracht

Click here to find  out more!ZUR PERSON

Opens external link in new  windowDr. Gereon Schuch ist Programmleiter des Zentrums für Mittel- und Osteuropa der Robert Bosch Stiftung bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Schwerpunkte seiner Arbeit sind Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa und die deutsch-ungarischen Beziehungen. Jüngst veröffentlichte Schuch eineOpens external link in new  window Analyse zum Wahlausgang in Ungarn. Bei den Wahlen sicherte sich die rechts-konservative Fidesz-Partei eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Die ultra-rechte Partei Jobbik zog mit 16,7 Prozent erstmals ins Parlament ein (Opens external link in new  windowEurActiv.de vom 26. April 2010).

EurActiv.de: Herr Schuch, Ungarns neue Regierung hat Ende vergangener Woche mit drastischen Aussagen über die Finanzlage des Landes die internationelen Märkte verunsichert. Der Euro geriet unter Druck, weltweit gaben die Aktienmärkte nach, Ungarns Landeswährung Forint stürzte, Versicherungen gegen eine ungarische Staatspleite verteuerten sich. Schließlich ruderte Budapest zurück. Man werde das Verschuldungsziel von 3,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in diesem Jahr doch noch erreichen. Wie eklären Sie das Verwirrspiel?

SCHUCH: In der Regierung scheint es erhebliche Kommunikationsprobleme zu geben, offenbar spielen auch Richtungskämpfe hinsichtlich des zukünftigen wirtschaftspolitischen Kurses eine Rolle. Ob es sich um ein bewusst inszeniertes Verwirrspiel handelte, ist fraglich.

EurActiv.de: Regierungssprecher Peter Szijjarto warnte sogar vor einer ähnlichen Situation wie in Griechenland. Dann hieß es, seine Äußerungen seien "innenpolitisch" motiviert gewesen, um den geplanten Sparkurs zu rechtfertigen. Ist die neue Regierung Ungarn so unerfahren und naiv, dass sie die Reaktion der Finanzmärkte in der gegenwärtigen Lage nicht bedacht hat?

SCHUCH: Bereits im Wahlkampf hat die regierende Fidesz-Partei klar gemacht, daß man den wirtschaftspolitischen Prognosen der Vorgänger-Regierung Bajnai nicht traue und "Leichen im Keller" vermutet. Mittlerweile wurde eine Kommission damit beauftragt, den tatsächlichen Zustand der wirtschaftlichen Lage zu ermitteln. Klar ist, daß auch Orbán um einen strikten Sparkurs nicht herumkommen wird. Das muß nun der Bevölkerung vermittelt werden. Doch offenbar wurden die finanz- und außenpolitischen Auswirkungen innenpolitisch motivierter Äußerungen unterschätzt.

EurActiv.de: Der neue ungarische Premier Viktor Orbán hat vor der Wahl Steuersenkungen versprochen, die angesichts der Finanzlage wohl nicht durchzuführen sind. Stattdessen sind wohl weitere Kürzungen im Sozialbereich zu erwarten. Rechnen Sie mit der großen Enttäuschung der Wähler?

SCHUCH: Hohe Zustimmungswerte, die von großen Hoffnungen getragen werden, können leichter in Enttäuschung umschlagen, als gemäßigte Versprechen. Vor dem Hintergrund der Fidesz-Wahlversprechen wird die Opposition sicher versuchen, die nachvollziehbare Enttäuschung der Wähler zu artikulieren und dem neuen Ministerpräsidenten vorzuhalten. Klar ist, daß Fidesz sich mit den Äußerungen im Wahlkampf angesichts der auch schon damals absehbaren wirtschaftspolitischen Realitäten selber eine schwierige Startposition beschert hat.

"Viele Bürger frustriert und enttäuscht. Das ist gefährlich."

EurActiv.de: Ungarn hat Ende 2008 als erster Staat in Osteuropa ein 20 Milliarden-Euro-Hilfspaket des Internationalem Währungsfonds (IWF) und der EU erhalten. Im Gegenzug muss sich Ungarn an Haushalts- und Sparziele halten. Hat dieses Modell in Ungarn gut funktioniert? Wie groß ist die Akzeptanz in der Bevölkerung?

SCHUCH: Sparmaßnahmen stoßen in der Bevölkerung verständlicherweise auf begrenzte Zustimmung. Gerade im Wahlkampf hat Orbán die Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierung scharf attackiert. Doch nun muss er zeigen, wie er es besser macht. Auch bei einer umfassenden Finanz- und Steuerreform wird er Einsparungen vornehmen müssen - die er noch vor kurzem abgelehnt hat. Es wird nicht leicht sein, dafür bei der Bevölkerung um Verständnis zu werben. Dabei ist zu bedenken, daß die Ungarn seit Jahren hören, es müsse gespart werden. Viele Menschen fragen sich, wo der mit dem Systemwechsel erhoffte Wohlstand bleibt. Ungarn galt einst als Musterland politischer und wirtschaftlicher Reformen, doch mittlerweile sind viele Bürger frustriert und enttäuscht. Das ist gefährlich.

EurActiv.de: Besteht die Gefahr, dass Rechtsradikale wie die Partei Jobbik in der jetzigen Situation noch stärker werden, indem sie zum Beispiel Propaganda gegen den "ausländischen" Einfluss der internationalen Finanzmärkte, der EU und des IWF betreiben?

SCHUCH: Jobbik wird versuchen, Kapital aus dem Hin und Her der letzten Tage zu schlagen. Gerade in der angesprochenen Enttäuschung der Menschen über die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes liegt das Potential extremistischer Parteien. Das sollten auch die anderen Oppositionsparteien bedenken. Wirtschaftliche Konsolidierung wird nicht ohne Sparen gehen.

Um das Land aus der Krise zu führen, sollten alle demokratischen politischen Kräfte sinnvolle Reformen erarbeiten und dafür bei der Bevölkerung um Zustimmung werben.

EurActiv.de:
Sie verweisen in Ihrer Wahlanalyse auf die große Unzufriedenheit der Ungarn mit dem demokratischen Transformationsprozess nach der Wende. 66 Prozent halten den Aufbau der Demokratie in Ungarn für gescheitert. Wie hoffnungsvoll sind Sie, dass Ungarn aus dieser tiefen politischen Krise herauskommt?

SCHUCH: Die neue Regierung verfügt gegenwärtig in der Bevölkerung über eine große Zustimmung und kann mit ihrer komfortablen Parlamentsmehrheit recht problemlos Reformen umsetzen, ohne Angst vor einzelnen Abweichlern haben zu müssen. Das eröffnet große Chancen und es wird sich zeigen, wie Viktor Orbán sie nutzen wird. Die Menschen müssen das Vertrauen in die Politik zurück gewinnen. Nur wenn Ungarn diese politische Krise meistert, kann auch die Wirtschaftskrise bewältigt werden.

Interview: Alexander Wragge

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