2010. június 12., szombat

5.912 - Schlampige Verhältnisse: profil-Report über Prostitution in Österreich

Von: Google Alerts
Gesendet: Samstag, 12. Juni 2010 15:27
An: jozsef@kutasi.eu
Betreff: http://www.profil.at/articles/1023/560/270720/schlampige-verhaeltnisse-prostitution-oesterreich

Schlampige Verhältnisse: profil-Report über Prostitution in Österreich

Vier der Betriebe werden offiziell von Frauen geführt, zwei von ihnen stammen aus Ungarn, eine aus Rumänien und eine aus Bulgarien. ...

Die Sexszene wird härter, der Umgang mit Prostitution bleibt aber von Verlogenheit und Doppelmoral geprägt. Wien startet nun einen riskanten Versuch, das Problem in den Griff zu bekommen.

Von Marianne Enigl, Edith Meinhart und Christa Zöchling

Die jüngste Innovation nennt sich „Flatrate-Sex“ und wird dieser Tage vor einem deutschen Gericht verhandelt. Betreiber von Flatrate-Sex-Bordellen hatten für eine Pauschale von 70 Euro mit dem Versprechen geworben: „Sex mit allen Frauen, so lange du willst und so oft du willst und wie du willst.“ Jetzt werden sie wegen Menschenhandels und Steuerbetrugs angeklagt.

Im vergangenen April versuchte ein Swingerclub, das Konzept deutscher Gang-Bang-Partys in Wien zu etablieren. Laut Werbefolder sollten 20 Männer zwei Frauen „ficken, bis der Arzt kommt“. Als Startgeld wurde von jedem Kunden 200 Euro verlangt.

En vogue sind zunehmend auch so genannte „Laufhäuser“. Es handelt sich dabei um Bordellbetriebe ohne jeglichen Schnickschnack und Anbahnung mit Sekt an der Bar. Der Kunde prüft an einem Bildschirm im Foyer oder bei offener Zimmertür das ­Angebot, bestellt und bezahlt wird bei der Prostituierten. In Graz öffneten seit Abschaffung des Straßenstrichs Ende der neunziger Jahre neun solcher Laufhäuser. In Wien werben großflächige Plakate für den Besuch bei „Schneeweißchen und Rosenrot“ in einem einschlägigen Etablissement.

Die Welt zwischen Puff und Rotlicht­sauna, Gürtelbumse und Alm-Öhi-Bordell in der umgebauten Bauernkeusche wird immer gnadenloser. Mutzenbacher-Romantik war gestern – heute gibt es Masseneinsatz mit Vögel-Startgeld.

Dass es in den vergangenen Wochen zu einem Brandanschlag und einem Prostituierten-Mord kam, ist tragischer Auswuchs dieser Entwicklung. Mag sich das Geschäft mit dem Sex auch radikal geändert haben – geblieben ist die Doppelmoral im Umgang von Staat und Gesellschaft damit.

Grundlage der Rechtlosigkeit Prostituierter ist ein Spruch des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1989. Prostituierte hatten einen Freier geklagt, weil dieser unter Vorspiegelung, Millionär zu sein, mit ungedeckten Schecks bezahlt hatte. Sie wurden abgewiesen. Begründung: „Da im Zusammenhang mit der Prostitution häufig Leichtsinn, Unerfahrenheit, Triebhaftigkeit und Trunkenheit von Personen ausgenützt werden, sind Verträge über die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt sittenwidrig.“
Prostitution ist in Österreich demnach nicht verboten, aber als Gewerbe auch nicht erlaubt. Sie ist nicht vertragswürdig, weil „sittenwidrig“.

Dennoch dürfen Prostituierte ihre Dienstleistungen legal anbieten, wenn sie sich in Wien bei der Polizei oder in den Bundesländern bei den Bezirkshauptmannschaften registrieren lassen. Für den so genannten „Deckel“ haben sie sich wöchentlich einer gesundheitspolizeilichen Kontrolle zu unterziehen. Ihr Einkommen müssen sie beim Finanzamt angeben und versteuern. Auch bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft sind sie gemeldet. Arbeitsverträge sind ihnen verwehrt. Legal können sie nur als selbstständige Kleinunternehmerinnen ohne Arbeitslosenversicherung, Urlaubsanspruch, Krankengeld und Mutterschutz tätig sein. Macht ein Kunde sich ohne Bezahlung aus dem Staub, ist er rechtlich unangreifbar.

Viele sind lieber illegale Geheimprostituierte. Ausländerinnen ohne Aufenthaltsberechtigung haben ohnehin keine Wahl: Sie müssen illegal arbeiten.

„Mit Deckel“.
Die Perversität des Systems zeigt sich auch darin, dass Asylwerbern der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt de facto verboten, die Ausübung der Prostitution „mit Deckel“ jedoch gestattet ist. Seit 2006 dürfen Ausländerinnen als „Saisonniers“ für maximal sechs Monate in Österreich der Prostitution nachgehen. Bei Großereignissen wie der EURO 2008 wird an den österreichischen Botschaften eine Fülle solcher Visa ausgestellt. Auch unter dem Titel „Künstlerin“ bekommen Frauen für Auftritte in Peepshows und Table-Dance-Lokalen relativ leicht eine Aufenthaltsbewilligung.

Von Freiwilligkeit ist dabei keinesfalls immer die Rede.
Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) wird jedes Jahr eine halbe Million Frauen und Mädchen aus Osteuropa unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder physischer Gewalt in den Sexmarkt eingeschleust. Im April des Vorjahres wurde die rechtliche Situation für Opfer von Menschenhandel entscheidend verbessert. Sind sie unter Gewalt verschleppt und zur Prostitution gezwungen worden, haben sie Anspruch auf humanitären Aufenthalt. Allerdings ist der Nachweis in vielen Fällen schwer zu erbringen, da die jungen Frauen häufig in eine Zwangslage rutschen. In Wien wurde dieser Schutz bisher zwölf Frauen gegeben.

Vielen Männern gilt Prostitution als ein selbstverständliches Dienstleistungsangebot, das gleichwohl vom Reiz des Verbotenen lebt. Nach einer Umfrage begründeten 54 Prozent der Freier ihren Wunsch, eine Pros­tituierte aufzusuchen, mit dem Verlangen nach Obszönitäten. 47 Prozent der Befragten erregte allein schon der Gedanke, sich einer Prostituierten zu nähern.

Frauen hatten zu Prostitution immer schon ein gespaltenes Verhältnis. In den siebziger Jahren trugen Feministinnen ­T-Shirts mit dem Aufdruck „Wir sind alle Prostituierte“, um auf die umfassende Ausbeutung ihres Geschlechts und die Doppelmoral, die sich auch in „normalen“ Ehen abspielt, aufmerksam zu machen.

In Europa wurden in den vergangenen Jahren zwei völlig konträre Wege eingeschlagen:

• In den Niederlanden wurde Prostitution im Jahr 2000 vollkommen liberalisiert. Bordelle sind lizenzpflichtige Gewerbebetriebe, Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen der Prostituierten werden wie in jedem anderen Betrieb überprüft. Zwangsprostitution ist nun leichter zu verfolgen, an milieubedingter Gewalt änderte sich wenig.
• In Schweden wurde der Verkauf von Sexualität entkriminalisiert, der Kauf jedoch unter drakonische Strafen gestellt. Ertappte Freier müssen mit einer Gefängnisstrafe und der Schande öffentlicher Bloßstellung rechnen. Das führte zu einem 40-prozentigen Rückgang der Prostitution, aber zu einem Anschwellen des Sextourismus ins Baltikum und nach Asien.

Sexarbeiterinnen in Berlin berichten von schwedischen Kunden, die „völlig überspannt zu uns kommen, manchmal vollgepumpt mit Viagra, weil sie die seltene Gelegenheit fern von Schweden voll und ganz auskosten wollen“.

„Unrecht aufgehoben“.
In Deutschland schaffte die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2001 die Sittenwidrigkeit der Sexarbeit ab. Prostitution fällt dort wie jede andere Tätigkeit zur Schaffung des Lebensunterhalts unter die Garantie des deutschen Grundgesetzes, Beruf und Arbeitsplatz frei zu wählen.

Bisher haben dennoch nur wenige Sexarbeiterinnen von ihrem neuen Recht, ­einen Kunden auf Entgeltzahlung zu klagen, ­Gebrauch gemacht. Vom Grundsatz her wurde jedoch „bestehendes Unrecht auf­gehoben“, so das deutsche Frauenmini­s­terium.

Zumindest in Wien erwägt die Stadtregierung, den neuen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Ein Jahr lang hat sich eine Arbeitsgruppe den Kopf zerbrochen, jetzt legte die zuständige Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) ein Maßnahmenpaket vor, das die Straßenprostitution keineswegs verbieten will. Das wäre laut Frauenberger „billiger Populismus“.

Erfahrungen anderer Länder zeigten, dass Verbote nur zu einem Anwachsen illegaler Prostitution führen. Die Sozialdemokratin will zwei neue anrainer­arme Straßenstücke für die Prostitution öffnen, um andere Gebiete zu entlasten. Die beiden neuen Strichstrecken liegen im 15. Bezirk – eine an der Linken Wienzeile (Ecke Anschützgasse) auf dem Weg zur Westausfahrt, die andere hinter dem Technischen Museum am Bahndamm der ­Westbahn. Lokalen, in denen Prostitution betrieben wird, will Frauenberger eine ­Meldepflicht aufnötigen, der potenzielle ­Betreiber muss künftig ein Leumundszeugnis vorlegen.

Ob diese Bestimmung tatsächlich wasserdicht ist, muss sich ebenso erst beweisen wie die Überprüfbarkeit der angedachten Kondompflicht bei gleichzeitigem Verbot des Anbietens von „Safer Sex“. Das Forum sexworker.at hat die 166 einschlägigen Annoncen in der Wien-Ausgabe der „Kronen Zeitung“ vom Dienstag vergangener Woche ausgewertet: Zwölfmal wurde „Ohne-Service“, also Geschlechtsverkehr (GV) ohne Kondom, angeboten. Einmal wurde mit „Alles möglich“ geworben, was ebenfalls auf ungeschützten Verkehr hinausläuft. „Naturfranzösisch vollendet“ (Oralverkehr mit Vollendung, also Samenerguss in den Mund der Prostituierten) war dreimal zu finden. Einmal wird die für die HIV-Ansteckung gefährlichste Variante „Naturgriechisch“ (Analverkehr ohne Kondom) angeboten.

Durch die Verlagerung des Markts ins Internet sind Angebote für Sex mit Minderjährigen, ungeschützten Verkehr oder Gewaltsex fast unüberprüfbar geworden. Die Angst vor Aids führt dazu, dass blutjunge Frauen oder Prostituierte, die sich einer regelmäßigen Untersuchung unterziehen, von den Kunden verstärkt nachgefragt werden. Die Verachtung des Markts gegenüber den Frauen zeigt sich darin, dass manche Clubs ihre Prostituierten mit dem makabren Gütesiegel „Zwangsuntersuchung“ offerieren, um auf diese Weise den teureren, „ungeschützten Verkehr“ besser zu vermarkten. Selbst in etablierten Etablissements bestehen Bordellbetreiber darauf, dass Frauen Oralsex ohne Kondom vornehmen, ist aus Internetforen zu erfahren.

„Unzucht“.
Während die Branche via Internet organisiert ist, macht jedes Bundesland seine eigene Politik. In Salzburg ist Schwangeren Sexarbeit untersagt, seit eine Prostituierte ihr Baby aus dem Fenster geworfen hatte. Manche Freier suchen speziell schwangere Prostituierte auf und entlohnen den Kick entsprechend höher. Mutterschutz gibt es im Sexbusiness nicht.

In Vorarlberg wacht die Sittenpolizei.
Die „Ausübung gewerbsmäßiger Unzucht durch Personen weiblichen Geschlechts“ ist nur in Bordellen erlaubt. Da kein Bürgermeister bisher wagte, ein Bordell zu bewilligen, erübrigt sich die Erörterung, wie man es im Ländle mit der Sexarbeit von Personen männlichen Geschlechts hält.

Die Vorarlberger Grünen vermuteten bereits vor Jahren, im Ländle gebe es mehr als 100 Geheimbordelle mit unwürdigsten Zuständen. Die Polizei steht dem Phänomen entweder hilflos oder desinteressiert gegenüber. Wegen der verpönten „gewerbsmäßigen Unzucht“ kassierten die Vorarl­berger Behörden im Jahr 2008 bei sieben Frauen Strafen zwischen 80 und 500 Euro. Auf Zwangsprostitution in einem der Eta­blissements wurde die Polizei erst aufmerksam, als zwei Türkinnen es wagten auszupacken: Sie waren als Erntehelferinnen angeworben worden und in einem Puff gelandet. In der Steiermark wurde 1997 ein eigenes Prostitutionsgesetz beschlossen. Prostitution auf der Straße gibt es in Graz, im Gegensatz zu früher, kaum noch. Ein Stadtbeamter: „Vor Kurzem kam ein Schwarm ungarischer Zigeunerinnen, wir haben die Polizei informiert, die haben sie dann vertrieben.“

In der steirischen Landeshauptstadt arbeiten im Schnitt 300 Prostituierte, das traditionelle Zuhälterwesen ist ausgestorben. Sexarbeiterinnen sind auf die 29 genehmigten Bordelle und die steigende Zahl an Laufhäusern angewiesen.

„Tätigkeit anzeigen“.
Vier der Betriebe werden offiziell von Frauen geführt, zwei von ihnen stammen aus Ungarn, eine aus Rumänien und eine aus Bulgarien. Die Grazer Behörden werten dies als Hinweis darauf, dass hinter dem Geschäft und der Beschäftigung von Prostituierten aus diesen Ländern Organisationen stehen. Drei Viertel der Grazer Prostituierten kommen aus Ostländern. Gebürtige Österreicherinnen waren lange Zeit rare Ausnahmen. Inzwischen kehren Steirerinnen, die etwa in der Schweiz oder in Spanien Sexarbeit geleistet hatten, wegen der Wirtschaftskrise in ihre Heimat zurück. Sie stellen mittlerweile rund zehn Prozent der registrierten Grazer Frauen im Sexgeschäft.

In Oberösterreich löst ein neues Prostitutionsgesetz das bisherige Polizeistrafgesetz ab. An den Strafen ändert sich nichts, Hausbesuche sollen Prostituierte in Hinkunft aber „persönlich bei der Gemeinde vor Antritt der Tätigkeit anzeigen“.

Am augenfälligsten manifestiert sich die Doppelmoral bei populistischen Politikern, namentlich der FPÖ. Bei den kürzlich abgehaltenen Wirtschaftskammerwahlen kandidierte etwa ein gewisser Viktor Hennemann für die Liste „FPÖ pro Mittelstand“. Dem Parteivolk war vermutlich nicht bekannt, dass er den Wiener Swingerclub „Atlantis“ betreibt. Die wenigsten Freiheitlichen dürften auch seinen Auftritt in Ulrich Seidls „Hundstage“ gesehen haben, einem Film, der den verlogenen Biedersinn vorführt. Hennemann posierte darin mit brennender Kerze im Rectum, die Bundeshymne schmetternd.

Auch Burschenschafter, die sich im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf öffentlich für die FPÖ-Kandidatin und zehnfache Mutter Barbara Rosenkranz stark­gemacht hatten, treibt es manchmal ins Rotlichtmilieu. Die „Silesia“ feierte vor wenigen Wochen in einem Wiener Gürtel­lokal. Die Einladungskarte zeigte einen Herrn mit Krawatte, an den sich halbnackte Girls schmiegen. Das Lokal ist inzwischen geschlossen. Der Betreiber sitzt wegen Verdachts auf Menschenschmuggel in Untersuchungshaft.

FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache hindert das nicht, gegen Prostitution ­herzuziehen: Hätte er in Wien das Sagen, würde er insbesondere „schwarzafrikanischen Asylwerbern verbieten, auf den Strich zu gehen“. Sexarbeiter aus dem rechtlosen Bereich zu holen, hat bisher kein Regierungsmitglied auch nur anzusprechen gewagt.

Auf profil-Anfrage hieß es aus dem Büro von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner: „Wir sind zu gesetzlicher Änderung bereit. Sobald Sozial- und Familienministerium ­sagen ,Setzen wir uns zusammen‘, machen wir das.“ So bleiben die Prostituierten vorerst weiterhin rechtlos: Wer sie betrügt, hat nichts zu befürchten.

In der „Fackel“ empörte sich Karl Kraus schon 1913: „Nach österreichischem Gesetz kann zwar die Inserentin, die ihren Körper vermietet hat, den Gewinn nicht einklagen, wohl aber der Verleger die Provision.“ Daran hat sich seither nicht viel ­geändert.