BILD-Interview mit Ungarns Ministerpräsident über sein umstrittenes Mediengesetz Würden Sie BILD verbieten lassen, Herr Orban?
Im BILD-Interview: Orban mit den Redakteuren Hans-Jörg Vehlewald (l.) und Jörg Quoos
BILD: Herr Ministerpräsident, im Juni 1989 schnitt Ungarns Außenminister Gyula Horn die erste Lücke in den Eisernen Vorhang. Heute stehen Sie als Ratspräsident der EU vor – was bedeutet das Ihnen und Ihren Landsleuten?
Viktor Orban: Ungarn hat seit dem 2. Weltkrieg sehr viel für Europa getan. Wäre der Aufstand der Ungarn 1956 nicht gewesen, dann hätte die Seuche des Kommunismus auch Westeuropa erfasst, besonders einige südeuropäische Länder. Mit der brutalen Niederschlagung der Revolution in Ungarn entblößte der Kommunismus sein wahres Wesen. Westeuropa konnte zusehen und verstehen. Wir Ungarn betrachten uns deshalb als das Volk, das seit 1956 am meisten Blut und Menschenleben geopfert hat für die Freiheit. 1989 spielte Ungarn zum zweiten Mal eine historische Rolle. Wir schlugen den ersten Stein aus der Mauer, die Ost- und Westeuropa über Jahrzehnte trennte. Es war am Anfang nur ein winziger Spalt. Doch der Luftzug, der durch diese Lücke blies, fegte am Ende den Kommunismus aus ganz Europa davon.
BILD: In Deutschland gibt es Politiker, die dennoch neue „Wege zum Kommunismus" suchen. Was sagen Sie denen?
Orban: Die würde ich gerne mal hier in Ungarn auf einen Kaffee einladen. Dann sage ich ihnen gern, was Kommunismus wirklich bedeutet!
BILD: Derzeit stehen Sie massiv in der Kritik wegen Ihres neuen Mediengesetzes, das die Presse und den Rundfunk unter strenge Kontrolle des Staates stellt. Kommentatoren nennen Sie sogar „Puszta-Putin". Was sagen Sie dazu?
Orban: Ich hoffe, Herr Putin fühlt sich nicht gekränkt durch solche Vergleiche. Aber im Ernst: Jeder Kampf muss irgendwann geführt werden. Wenn man genügend Gründe hat für ein solches Gesetz, dann muss man es auch durchziehen! Die Lage bei uns war: Seit einem Jahr gab es faktisch keine Aufsicht für die Medien mehr. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten hatten keinen Intendanten. In unseren Medien war und ist die Verletzung der Menschenwürde tägliche Realität. Es gab keinerlei Regelungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt und Pornografie oder antisemitischer Hetze vor allem im Internet. Unser neues Gesetz hat dieses Problem gelöst. Und es enthält nicht eine Regelung, die es so nicht auch in den Gesetzen anderer EU-Staaten gäbe. Nichts anderes wird auch die Prüfung durch die Europäische Kommission ergeben, der wir uns natürlich beugen werden.
BILD: Dennoch leuchtet nicht ein, warum Sie die Medienkontrollbehörde ausschließlich mit Angehörigen Ihrer Regierungspartei besetzt haben. Finden Sie das demokratisch?
Orban: Das wird immer wieder behauptet, aber es stimmt nicht. Richtig ist: Die Medienbehörde ist ein Regierungsorgan, der Medienrat wird dagegen vom Parlament besetzt. Und dort hat meine Partei eine Zweidrittelmehrheit. Im Rat sitzen ausschließlich Fachleute, gewählt vom Parlament. Und ich fände es auch falsch, wenn dort nach Parteienproporz Sitze vergeben würden. Warten Sie doch erst einmal ab, wie die gewählten Mitglieder arbeiten werden.
BILD: Aber wie soll Ihre Medienbehörde korrekt über „ausgewogene Berichterstattung" entscheiden, wenn dort nicht ein einziger Vertreter der Opposition sitzt?
Orban: Glauben Sie mir: Wäre die Behörde nach Parteienproporz besetzt, wäre das Geschrei nicht geringer. Meine Partei hat nun einmal eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Manche betrachten das als Gefahr und fordern uns auf, unsere Arbeit nicht entsprechend zu tun. Aber das würde dem Willen der Wähler widersprechen.
BILD: Aber wenn Ihre Partei die Mehrheit verliert, leitet weiterhin ein Vertreter Ihrer Partei die Medienbehörde – für neun Jahre!
Orban: Das ist bei uns nicht ungewöhnlich. Der Präsident des ungarischen Rechnungshofes wird für zwölf Jahre gewählt, die Verfassungsrichter und der Generalstaatsanwalt für neun Jahre, gerade weil sie unabhängig sein sollen vom Zyklus der Neuwahlen des Parlaments.
BILD: Was würde Ihre neue Behörde tun, wenn BILD eine ungarische Zeitung wäre und morgen mit der Schlagzeile erschiene: „Wählt Viktor Orban ab!"?
Orban: Der Bericht würde eingestuft als äußerst zurückhaltend, beinahe schon anerkennend. Schlagen Sie doch mal unsere Zeitungen auf. Dort werde ich jeden Tag als „Duce" und als „Führer" beschimpft, als Gauner und Räuber. Wir haben hier bei uns nun einmal eine besondere Kultur der politischen Auseinandersetzung. Wir prügeln uns zwar nicht im Parlament, wie es schon mal bei den Italienern vorkommt. Aber wenn jemand anderer Meinung ist als sein Gegner, dann nennt er ihn gleich einen „Verbrecher" oder „Betrüger".
BILD: Das heißt, Sie werden in Ihrer Antrittsrede vor dem EU-Parlament diese Woche Ihr Mediengesetz nach Kräften verteidigen...
Orban: Ja, ich bin Gegenwind gewohnt! Schon seit der Opposition unter dem kommunistischen Regime. Ich wäre sogar skeptisch, wenn ich plötzlich Rückenwind bekäme, ob aus ungarischen Medien oder aus dem Ausland. Ich nehme den Kampf an, auch wenn meine Gegner in Ungarn und Europa gerade eine Kampagne anzetteln. Wichtig ist: Wir werden keine Sonderregeln für Ungarn akzeptieren. Regeln, die auch andere EU-Staaten im Umgang mit ihren Medien haben, werden wir uns nicht verbieten lassen. Daran werden selbst die schärfsten Kommentare und Unterschriftensammlungen nichts ändern.
Lesen Sie morgen Teil 2 des Interviews:
„Ich kann verstehen, dass Deutschland nicht Zahlmeister Europas sein will" – Orban über Deutschland und die Euro-Krise"
Das neue Mediengesetz (gilt seit 1. Januar) schränkt nach Meinung vieler Kritiker in ganz Europa die Pressefreiheit in Ungarn unzulässig ein.