19.12.2007 18:29
Von unserem Korrespondenten PETER BOGNAR (Die Presse)
Der renommierte ungarische Ökonom und Ex-Politiker Péter Ákos Bod geißelt die aktuelle Wirtschaftspolitik Ungarns.
BUDAPEST. Er hätte im Vorjahr Ministerpräsident einer Expertenregierung werden sollen. Dies jedenfalls wäre die Vorstellung von Oppositionschef Viktor Orbán gewesen, hätten die rechtskonservativen Parlamentsparteien die Wahlen 2006 gewonnen. Daraus wurde nichts. Statt als Premier die Regierungsbank zu drücken, steht Péter Ákos Bod daher bis auf weiteres auf dem Universitätskatheder.
Im Gespräch mit der „Presse“, übt der ehemalige Industrieminister und Notenbankchef scharfe Kritik an der „verantwortungslosen Wirtschaftspolitik“ der linksliberalen Regierungen. Laut Bod haben sich die Regierungen von Péter Medgyessy (2002-2004) und des jetzigen Premiers Ferenc Gyurcsány (seit 2004) einer „wirtschaftspolitischen Erbsünde“ schuldig gemacht. „Sie haben der Ausgabenpolitik maßlos die Zügel schießen lassen“, sagt Bod. Dies habe zu horrenden Budgetdefiziten in Höhe von 8,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes im Jahr 2002 und 9,2 Prozent 2006 geführt.
Die „jetzige Stagnation“ – im dritten Quartal betrug das Wirtschaftswachstum nur ein Prozent – führt Bod auf das im Vorjahr geschnürte drastische Sparpaket zurück: „Wenn ein Land jahrelang maßlos über seine Verhältnisse lebt und dann plötzlich der Sparstift angesetzt wird, ist ein Stillstand des Wirtschaftswachstums die logische Folge.“
Nur Minderheit zahlt Steuern
Hinter der entfesselten Ausgabenpolitik der linksliberalen Regierungen in den vergangenen Jahren sieht Bod noch ein „Erbe des real existierenden Sozialismus in Ungarn“. Der so genannte Gulaschkommunismus, der einst den Konsumansprüchen des Volkes gerecht werden wollte, habe sich vor allem aus Krediten gespeist. Diese Mentalität lebt „in den Köpfen der Regierenden“ fort, so Bod.
Auf die Frage, ob es in Ungarn infolge des rigiden Sparpakets eine „soziale Krise“ gibt, wie von der politischen Opposition so oft behauptet wird, antwortet Bod mit „Nein“. Er sieht jedoch „soziale Spannungen“, die durch den massiven Anstieg der Heizkosten (um 30 Prozent), der Strompreise (20 Prozent), der Lebensmittel- und Medikamentenpreise bedingt sind. Diese Preisanstiege träfen nicht zuletzt die Rentner und armen Familien. Hinzu komme, dass die ohnehin hohe Steuerlast in Ungarn weiter gewachsen sei.
In diesem Zusammenhang weist Bod darauf hin, dass im Zehn-Millionen-Einwohner-Land Ungarn „nur vier Millionen Menschen Steuern zahlen, mehr als ein Drittel davon auf Grundlage des Minimallohns“. Dies lasse auf eine riesige Schattenwirtschaft schließen. Die Eindämmung der Steuerflucht in Ungarn kann sich der Ökonom nur durch die Senkung der Steuern auf Arbeit vorstellen. Einer einheitlichen Steuer („Flat Tax“) erteilt der Bod aber eine Absage. Diese sei zwar zur Zeit „in Mode“, sie komme aber vor allem den Reichen zugute. Für die unteren sozialen Schichten könne sie sogar eine höhere Steuerlast mit sich bringen. Laut Bod ist eine Steuerreform in Ungarn frühestens im Jahr 2009 zu erwarten.
„Gesundheitsreform scheitert“
Die umstrittene Reform des Gesundheitswesens ist nach Ansicht des Ökonomen zum Scheitern verurteilt. Zwar liege im Gesundheitssystem vieles im Argen, etwa das Phänomen der Hunderttausenden Schmarotzer, die das System in Anspruch nähmen, jedoch keine Gesundheitsabgabe zahlten. Doch in Bods Augen weist das von der Regierung geplante Mehrversicherungssystem in die falsche Richtung. Stattdessen sollte die ineffiziente und verschwenderische Landesgesundheitskasse auf Vordermann gebracht werden.
Zu der Reform- und Sparpolitik, die Gyurcsány seit dem Vorjahr durchpeitscht, sagt Bod: Mit gutem Willen könne diese als „eine Art von aufgeklärtem Absolutismus“ betrachtet werden. Mit schlechtem Willen könne die Wirtschaftspolitik der Regierung aber auch als „bloße Geldeintreibung“ angesehen werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2007)