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Gesendet: Freitag, 30. April 2010 20:18
An: jozsef@kutasi.eu
Betreff: Ungarn nach dem Rechtsruck
Wer hat keinen Platz im neuen System?
Ungarn nach dem Rechtsruck
Der rechtskonservative Bürgerbund Fidesz unter Viktor Orban verfügt im ungarischen Parlament über eine Zweidrittelmehrheit. Wo liegt die große Unzufriedenheit der Ungarn, die auch für massive Stimmengewinne der rechtsextremen Partei Jobbik verantwortlich ist?
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Am vergangenen Sonntag fand der zweite Durchgang der ungarischen Parlamentswahlen statt, und er bewies, was der erste Wahlgang schon gezeigt hatte. Mehr noch – Viktor Orban und seine bürgerliche Fidesz verfügen jetzt über eine satte Zweidrittelmehrheit, 262 von 386 Parlamentssitzen. Ein wahrer Umsturz, kommentieren Beobachter, ein Systemwandel. Die bisher regierenden Sozialdemokraten wurden abgewählt.
Was ist geschehen, 20 Jahre nach der Wende? Wo liegt die große Unzufriedenheit der Ungarn, die auch für massive Stimmengewinne der rechtsextremen Partei Jobbik verantwortlich ist? Der ungarische Politologe Jozsef Bayer, Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA), hat dazu auf Einladung des Renner-Instituts am Donnerstagabend einen Vortrag gehalten. Eine seiner Kernaussagen: Viele Menschen seien mit den Veränderungen der letzten 20 Jahre einfach nicht zurechtgekommen.
"Früher war es besser"
Das Problem sei, dass viele Menschen im neuen System keinen Platz fänden, meint Bayer. "Sie sagen: Mir geht es schlechter als früher, ich habe keine sichere Arbeit, mein Lohn ist niedriger als früher, ich kann nichts daneben verdienen", so Bayer. Ein Drittel der ungarischen Bevölkerung lebe unter der Armutsgrenze, die nicht sehr hoch angesetzt sei, konstatiert der Politologe. Und auch Menschen, denen es relativ gesehen besser gehe, würden sich benachteiligt fühlen.
Den zumeist jugendlichen Wählern von Jobbik fehle es außerdem an Geschichtsverständnis, anders kann sich Jozsef Bayer den Zulauf zu den Ultrarechten, die vor allem gegen die Minderheit der Roma hetzen, nicht erklären.
Er sieht Fehler im Schulsystem, da es den Jugendlichen kein Geschichtsverständnis beibringe - die vielen politischen Veränderungen in der letzten 20 Jahren führe auch dazu, dass Geschichtslehre in ihrem Unterricht nicht weiter gehen wollten als bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Viele würden daher nicht wissen, woher die (politischen) Ideen stammen, die ausgenutzt würden, um weiter Unterstützung von unzufriedenen Menschen zu bekommen.
Mehrheit für Änderung?
Die große Mehrheit für Viktor Orbans Fidesz macht dem Politologen ebenso Sorgen. Eine Verfassungsänderung droht, die aus Ungarn ein Land mit einem einzigen starken Mann an der Spitze machen würde – was für die Zukunft nichts Gutes bedeuten würde, ist Bayer überzeugt. Trotzdem wünscht er dem designierten ungarischen Regierungschef alles Gute:
"Wenn die Regierung die Wähler allzu schnell enttäuschen würde, können die Zornigen zur Jobbik-Partei überlaufen - dadurch würde sich die politische Situation noch mehr verschlechtern. Deshalb wünsche ich der neuen Regierung viel Erfolg, aber verlange auch mehr Toleranz, mehr Einsicht und Weisheit - was jede tragende Partei bislang auch gezeigt hat."
Text: Cornelia Krebs · 30.04.2010