Für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass die gegenwärtige Expertenregierung nebst der hinter ihr stehenden politischen Klasse noch Unklarheiten haben sollte, was im krisengeschüttelten Ungarn getan werden müsse, haben vierzehn Top-Manager internationaler Unternehmen zahlreiche diesbezügliche Vorschläge in einem umfangreichen Dokument zusammengetragen. Vielversprechend trägt der jüngste, in ungarischer und englischer Sprache erschiene Report des Hungarian European Business Council (HEBC) den Titel „Wege aus der Krise“. Am vergangenen Donnerstag wurde er von den Autoren in Anwesenheit von Finanzminister Péter Oszkó präsentiert. Dabei wurde schnell klar, dass man sich wegen Oszkó einen Großteil der Arbeit hätte sparen können. Immerhin befand sich der Finanzminister größtenteils auf einer Linie mit den Autoren und ihrer Kritik an den ungarischen Verhältnissen. „Über die meisten Vorschläge der Studie gibt es nichts zu diskutieren“, stellte Oszkó in seiner nüchternen Art anerkennend fest. Kein Wunder, noch vor wenigen Monaten war er als Chef der hiesigen Niederlassung von Deloitte selber noch ein eifriger Regierungskritiker und Verfasser ähnlicher Vorschläge. Oszkó deutete jedoch an, dass es Kabinettskolle-gen gäbe, denen die vorliegende Studie durchaus als anregende Lektüre gereichen könnte. „Es ist wichtig, dass der Regierung von Zeit zu Zeit ein Spiegel vorgehalten wird, nicht nur von der Politik, sondern auch von den wichtigen Exponenten des wirtschaftlichen Lebens.“ Auf einige Grundforderungen der Studie ging Oszkó schließlich nur deshalb ein, um sich hinter sie zu stellen. Etwa hinter die Forderung nach mehr politischem Konsens. Dass er diesbezüglich wenig Illusionen hege, verriet er mit dem Hinweis, dass seine Regierung mit ihre Antikrisenmaßnahmen zwar kaum auf politischen Konsens zählen könne, trotzdem aber bereits etliche Maßnahmen durchsetzen konnte, zu denen zumindest in Expertenkreisen schon seit längerem Konsens herrsche. Mit anderen Worten: Ein entsprechend dickes Fell der jeweils herrschenden Regierung kann die Unfähigkeit der ungarischen politischen Klasse zur Konsensbildung zumindest teilweise kompensieren, was Oszkó so deutlich natürlich nicht sagte. Ebenso kollektiv wie die HEBC-Mitglieder persönlich an der Erarbeitung der Studie mitgewirkt hatten, stellten sie im weiteren Verlauf der Präsentation arbeitsteilig deren wichtigste Passagen vor. Zu den Leitmotiven gehörte dabei neben der Forderung nach politischem Konsens und einer klaren langfristigen Strategie für alle besprochenen Bereiche immer wieder auch die Überzeugung, die Krise nicht als böses Unheil, sondern eher positiv, als reinigendes Unwetter und Impuls zur Abarbeitung des Reformstaus zu betrachten. „Freilich wäre es besser gewesen, wenn schon vor der Krise die jetzt getroffenen Maßnahmen in Angriff genommen worden wären. Aber leider zieht die politische Elite die eigenen Interessen denen des Landes vor“, so Miklós Pécsi-Szabó, Geschäftsführer von OMV Hungária. Aber nicht nur die herrschende politische Klasse handle gegensätzlich zu den langfristigen Interessen ihres Landes, sondern inzwischen bald jeder einfache Steuerzahler. Um das allgemeine Dilemma Ungarns zu illustrieren, verwendete István Németh, Generaldirektor von AkzoNobel Coatings, ein einfaches Bild. Er verglich Ungarn mit einem voll besetzten Ruderboot, in dem zwar alle Ruder in der Hand hätten, sich aber nur wenige in die Riemen legen würden. Statt in Anbetracht des härteren Wellengangs und vorbeiziehender Ruderboote endlich beherzt zuzugreifen, würde von der Mehrheit der Besatzung erwartet, dass sich die bereits kräftig Rudernden noch stärker in die Riemen legen müssten. Die Unlust, sich an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen, könne nach der Ansicht von Németh in erster Linie mit fehlendem Vertrauen in den Staat beziehungsweise dem nur zu gerechtfertigtem Misstrauen erklärt werden, dass eingezahlte Gelder durch Staatsdiener und ihre Hintermänner zweckentfremdet würden. Womit man auch schon beim Dauerbrenner Korruption ist. Aus der Riege der vertretenen Top-Manager fiel Benedikt Laux, Generaldirektor von Philips für Mitteleuropa und die adriatischen Länder, die Aufgabe zu, die diesbezüglichen HEBC-Positionen vorzutragen. Seiner Meinung nach herrscht in Ungarn – genährt durch immer neue markante Beispiele – inzwischen ein Klima der allgemeinen Korruption. Auf keinem der kritischen Gebiete könne der Interessenverband eine Verbesserung bescheinigen, sei es nun die nach wie vor ungelöste Frage der Parteienfinanzierung, die politische Korruption, Ungereimtheiten bei der öffentlichen Verwaltung oder der ganze Themenkreis rund um öffentliche Ausschreibungen. Die HEBC-Studie vermutet, dass der hohe Grad der Korruption in Ungarn auch kulturelle Gründe hat: „Ein großer Teil der Bürger bemüht sich lediglich um ihr eigenes, persönliches Wohlergehen. Mit ihrer Arbeit zum Aufblühen ihres Landes beizutragen, gehört nicht zu ihren Zielen.“ Bei neuen Gesetzen sei es inzwischen üblich geworden, erst einmal nachzusehen, wie sie umgangen und nicht, wie eingehalten werden können. In dieser verfahrenen Situation könnten nach Meinung von Laux vor allem Transparenz, eine Verminderung der Bürokratie, schnellere Gerichtsverfahren mit Resultaten und eine bessere soziale Kontrolle helfen. Auf jeden Fall seien schnelle und entschlossene Maßnahmen notwendig, da der hohe Grad der allgemeinen Korruption mit gewaltigen direkten und indirekten Kosten einhergehe, die sich die Gesellschaft nicht mehr leisten könne „Eine Gesellschaft, die korruptes Verhalten akzeptiert, zahlt einen hohen Preis. Der gesellschaftliche Zusammenhalt zerfällt, ebenso das Ansehen der nationalen Behörden, Investitionen bleiben aus. Es leiden die Unternehmen, den Preis zahlen aber letztlich alle Endverbraucher“, erinnerte Laux. Die verfasser der Studie Der Hungarian European Business Council (HEBC) besteht bereits seit 11 Jahren als ungarische Sektion des European Round Table of Industrials (ERT). Der Rundtisch vereint die Top-Manager von 45 europäischen Großunternehmen mit einem Umsatz von insgesamt 1.600 Mrd. Ft und weltweit 4,5 Mio. Mitarbeitern. Ihr oberstes Ziel ist die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Im HEBC sind unter anderem vertreten: ABB, AkzoNobel, BT, Electrabel, Electrolux, Ericsson, Nestlé, OMV, Philips, SAP, Shell und SKF. In der jährlich in einer Auflage von mehreren Tausend Exemplaren herausgegebenen Studie formulieren die Mitglieder auf eigenen Erfahrungen beruhende, überparteiliche Vorschläge für die Schaffung einer stabileren, langfristig kalkulierbareren wirtschaftlichen Umgebung. |