Die Humanistische Partei konnte im Verbund mit LMP (siehe Analyse Seite 4) einen Achtungserfolg bei den Europawahlen erzielen. Die Parteipolitik ist jedoch nur ein Teil der seit 40 Jahren weltweit aktiven Humanistischen Bewegung. Die Budapester Zeitung fragte Sprecher Balázs Szigeti nach Zielen und Aktivitäten der Humanisten. Wie kam die humanistische Bewegung nach Ungarn? Die humanistische Bewegung ist eine internationale Organisation, die vor vierzig Jahren in Argentinien ihren Anfang nahm. Ihr Ziel ist eine tiefgreifende Änderung der Verhältnisse auf praktisch allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens. Interessant ist, dass die Bewegung in allen Kulturen und auf allen Kontinenten Wurzeln schlagen konnte. In Ungarn haben wir etwa 100 Aktivisten und mehrere Tausend Sympathisanten, die unsere Tätigkeit verfolgen. In den etwas mehr als 20 Jahren, in denen die Bewegung in Ungarn präsent ist, haben wir eine ganze Reihe unterschiedlicher Aktionen gemacht. Das Bekannteste ist wohl das Friedenszeichen, das wir schon oft auf dem Heldenplatz in Budapest und an anderen Orten im Land mithilfe unserer Aktivisten gestellt haben. Viele kennen auch die Humanistische Partei. Das Wichtigste bei alldem ist das Prinzip der Gewaltlosigkeit, die unserer Ansicht nach beim Einzelnen beginnen muss. Aus diesem Grund gibt es eine Reihe von Übungen wie etwa Meditationen, mit deren Hilfe wir versuchen, die Wurzel der Gewalt zu verstehen. Diese ist nämlich in jedem Einzelnen drin, die Welt ist ja nicht an sich schlecht. Widerspricht zum Beispiel die konkrete politische Tätigkeit nicht diesem Prinzip? Nein, denn wir glauben, dass die wirkliche Demokratie die beste aller Rechtsordnungen ist. Und damit sie funktioniert, benötigt man Abgeordnete. Ein Widerspruch läge dann vor, wenn auch wir versuchen würden, unser Anliegen den Bedürfnissen des Großkapitals oder der Massenmedien anzupassen, anstatt das zur Sprache zu bringen, was wir für richtig halten. Aus diesem Grund können wir auch auf die bescheidenen Ergebnisse, die die humanistischen Parteien weltweit erzielen, sehr stolz sein. In Argentinien und Chile sind wir sogar in Gemeinde- und Regionalräten vertreten. Gibt es auch eine regionale Zusammenarbeit zwischen den humanistischen Organisationen verschiedener Länder? Ja, die Parteien der einzelnen Kontinente kommen in so genannten regionalen Organisationen zusammen, in unserem Fall beispielsweise Europa. Einer der Hintergründe dafür ist die Tatsache, dass die einzelnen Länder mit den eindeutig imperialen Bestrebungen der Vereinigten Staaten nicht in Konkurrenz treten können. Andererseits stellen wir uns die Gesellschaft der Zukunft ohnehin nicht im Rahmen von Nationalstaaten vor. Die Vorstellung, dass die Völker sich zusammentun und regionale Organisationen wie etwa die Europäische Union erschaffen – und ich rede hier nur von der Idee, nicht von deren aktueller Verwirklichung –, ist uns sehr sympathisch, und wir passen unsere politische Aktivitäten dieser Entwicklung an. Es gibt ja eine Reihe von Problemen, die nicht auf nationaler Ebene behandelt werden können, zum Beispiel die Frage des amerikanischen Raketenschutzschildes, das in Tschechien und Polen installiert werden soll. Wir denken, dass das ein gesamteuropäisches Anliegen ist, und dass wir Tschechien nicht alleine lassen dürfen. Der Staat macht logischerweise im Gegenzug für gewisse Vorteile gern ein Geschäft mit den Amerikanern, während ein Großteil der Bevölkerung gegen die Raketen ist. Es ist kaum zu verstehen, dass viele im Europaparlament überrascht waren, als wir angefangen haben, Lobbyarbeit gegen den Raketenschutzschild zu betreiben. Als hätten sie davon gar nicht gehört. Also ist Frieden auch in Europa eins der zentralen Motive der humanistischen Bewegung. Ja, oder besser noch: Gewaltlosigkeit. Der humanistische Ansatz geht davon aus, dass es ganz viele verschiedene Formen von Gewalt gibt, in persönlichen Beziehungen zum Beispiel, oder in der Wirtschaft. Das sind genauso Momente der Gewalt, wie es der Krieg ist. Auch, um diesen Zusammenhang aufzuzeigen, findet im Herbst der Weltweite Marsch für Frieden und Gewaltfreiheit statt. Das ist wahrscheinlich der bislang größte weltweite Zusammenschluss für den Frieden, den es je gegeben hat. Wie wird dieser Marsch aussehen? Eine kleine Gruppe wird tatsächlich am 2. Oktober in Wellington auf Neuseeland losgehen und am 2. Januar 2010 in Punta de Vacas in den Anden ankommen. Dazwischen wird sie eine ganze Reihe von Ländern besuchen und praktisch einmal um die Welt reisen. Und wo sie vorbeikommen, wird es verschiedene Veranstaltungen geben, zum Teil sogar schon vorher. Am 4. November kommt der Marsch nach Ungarn. Wir versuchen zu erreichen, dass der Marsch weit über die humanistische Bewegung hinaus strahlt und sich zum Beispiel Schulen anschließen oder sogar Regierungen. Will sich die ungarische Regierung nicht anschließen? Nein, wir haben Staatspräsident Sólyom aber informell schon angefragt und werden es demnächst auch in offizieller Weise tun. Angeschlossen hat sich aber bereits der ehemalige Staatspräsident Ferenc Mádl. Außerdem machen weltweit zahlreiche Organisationen mit, zum Beispiel Greenpeace, teilweise Amnesty International, oder auch die „Bürgermeister für den Frieden“, deren Vorsitzender – soweit ich weiß – der Bürgermeister von Hiroshima ist. Hier in Ungarn machen auch zahlreiche Schulen mit, in denen wir im Vorfeld auch Unterrichtsstunden über Gewaltfreiheit halten werden. Am 4. November werden wir eine Deklaration verabschieden, in der wir darlegen, was für ein Ungarn wir möchten: Ein buntes, gewaltfreies, an Kulturen und Sprachen reiches Land. Dazu laden wir alle Menschen, egal welcher Religion oder Weltanschauung sie angehören, ein und hoffen, dass wir – über den Inhalt der Deklaration hinaus – ein gemeinsames Erlebnis haben, wie es bei den Friedenszeichen auf dem Heldenplatz war. Im Vorfeld des Marsches, am 6. August, planen wir aus Anlass des Jahrestags des Atombombenangriffs auf Hiroshima einen kleinen Vor-Marsch, in dessen Rahmen wir die Botschaften der Länder besuchen werden, die über Atomwaffen verfügen. Außerdem werden wir mit 500 Leuten ein „Die-In“ vor dem Parlament veranstalten. Das ist eine ziemlich zeitgemäße Form des Protests, und andererseits aber auch anschaulich genug, um die Tragweite der weltweiten nuklearen Bewaffnung aufzuzeigen. Was hat denn Ungarn mit Atomwaffen zu tun? Ungarn besitzt natürlich keine Atomwaffen. Aber eine unserer weiteren Kernforderungen ist der weltweite Abzug von Besatzungstruppen. Derzeit führt Ungarn Krieg in Afghanistan, was wahrscheinlich sogar verfassungswidrig ist. Wir fordern, dass Ungarn diese Truppen abzieht und eine aktive Friedenspolitik betreibt. Im Parlament gibt es im Moment einen breiten Konsens darüber, dass die Soldaten in Afghanistan kämpfen sollen, während laut Umfragen 65 Prozent der Bevölkerung dagegen sind. Planen Sie rechtliche Schritte gegen den Afghanistaneinsatz? Wenn dieser verfassungsfeindlich ist, sollte das ja eine klare Sache sein. Planen wäre zu viel gesagt, aber wir sondieren die Lage von verschiedenen Seiten, auch juristisch. --------------------------------------------------------------------------------- |