Ungarn: Ruf nach alter Größe
Politik, 09.01.2008, Laszlo Vida
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Brüssel. Rechtsextreme Tendenzen gewinnen in der EU an Gewicht. Mit den Hintergründen und Auswirkungen befasst sich unsere neue Serie. Im dritten Teil: Ungarn.
Es war keine geheime Zeremonie: Die Vereidigung der Magyar-Gardisten fand im Herzen Budapests statt. Vor dem Schloss, unter dem Büro von Staatspräsident Laszlo Soyom, wurde Ende August den ersten 56 Mitglieder der „Ungarischen Wache" (Magyar Gárda) der Eid abgenommen. Die Zahl sollte an den Aufstand erinnern, dem im November 1956 sowjetische Panzer ein Ende machte. Unter den rund tausend Gästen waren nicht nur Entsandte diverser extremer Gruppierungen, sondern auch Vertreter der konservativen Oppositionspartei Fidesz. Die Teilnehmer schwenkten die rot-weiß-rote Fahne des ungarischen Faschisten-Regimes, die frischernannten Gardisten trugen die schwarze Uniform der Nazi-Kollaborateure.
Ungarn
Ungarn stieß mit neuen weiteren Ländern im Mai 2004 zur Europäischen Union.
Unter den knapp zehn Millionen Einwohnern – Tendenz rückläufig – stellen die Roma mit rund zwei Prozent die größte ethnische Minderheit. Weitere 2,4 Millionen Ungarn leben im Ausland, vor allem in Rumänien, Serbien und der Slowakei. In Budapest regiert eine Koalition unter dem sozialistischen Premier Ferenc Gyurcsány, der ein Bündnis mit der kleinen liberalen SZDSZ leitet.
An der Spitze der Ungarischen Wache steht der 29-jährige Gabor Vona. Chef einer ultrarechten Partei, die 1999 aus der Studentenvereinigung Jobbik Magyarországért (Bewegung für ein besseres Ungarn) hervorging. Vona war enger Mitarbeiter des früheren Ministerpräsidenten und jetzigen Oppositionsführers Viktor Orbán.
Die Gárda hat sich die „Selbstverteidigung der ungarischen Nation" aufs Panier geschrieben, unter anderem durch Polizeiarbeit in Städten und Gemeinden. Ausbildung an der Waffe gehört dazu, auch wenn die Mitglieder per Gesetz verpflichtet sind, auf Waffenbesitz zu verzichten. Politisches Ziel ist unter anderem die „Beseitigung" des sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány. Jetzt im Dezember organisierte der bräunliche Stoßtrupp zusammen mit einer weiteren paramilitärischen Gruppierung einen Protestmarsch gegen „Roma-Verbrecher" und „für die öffentliche Sicherheit der ungarischen Landschaften".
Der Blick auf die Wahlergebnisse könnte zum (Fehl-) Schluss verleiten, das Problem der extremen Rechte in der ungarischen Politik habe sich erledigt. Die rechtsextreme MIEP des Schriftstellers und Anti-Semiten István Csurka war 2002 aus dem Parlament geflogen, wo sie zuvor 14 von 386 Abgeordneten gestellt hatte. Und auch die stärkste der zahlreichen radikalen Formationen kommt in Umfragen gerade mal auf ein bis zwei Prozent. Doch der Schein trügt. Die Ultrarechte ist lebendig. In einer Umfrage im September bekundeten 13 Prozent Sympathie für die Ungarische Garde.
Und die außerparlamentarische Szene ist rührig: Da gibt es etwa die „Bewegung der 64 Grafschaften" (HVIM), die Ungarn wieder zur alten Größe wie vor 1920 verhelfen will – ein unverhohlener Gebietsanspruch gegenüber den Nachbarländern. Das Los der ungarischen Minderheiten in Rumänien und der Slowakei dient auch anderen Vorkämpfern einstiger Glorie als Vorwand.
Die chauvinistischen Parolen treffen auf ein völlig polarisiertes politisches Umfeld. Seit 2002 regiert die Linke, denen der kleine Koalitionspartner SZDSZ ein stramm neo-liberales Wirtschaftsprogramm aufzwingt. Auf der Rechten verschwimmt die Linie zwischen Orbáns Fidesz und den Ultras. Der allgemeinen Verurteilung des bizarren Gárda-Gelöbnisses etwa mochte sich die Fidesz nicht anschließen. Auch die von rechtsaußen angezettelten Ausschreitungen im Herbst 2006 und im vergangenen Oktober kommentierte Orbán voller Verständnis für die Anliegen der Demonstranten.