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Gesendet: Freitag, 2. Mai 2008 20:28
An: antal@jozsef-kutasi.de
Betreff: Ungarn
HANDELSBLATT, Donnerstag, 1. Mai 2008, 09:15 Uhr
Verhandlungspraxis
Wenn den Ungarn der Kragen platzt
Von Erika Anders-Clever und Csilla Remann, bfai
Handel und Geschäfte mit den neuen EU-Ländern im Osten werden immer wichtiger. Dazu zählt auch Ungarn. Wer hier erfolgreich sein will, muss mit Eigenheiten umgehen können. Deutsche Geschäftsleute, die einen sachbezogenen und direkten Verhandlungs- und Gesprächsstil gewohnt sind, stoßen in Ungarn auf das genaue Gegenteil. Und vor allem ein Thema sollten sie besser nicht anschneiden.
BUDAPEST. Der Umbau der ungarischen Wirtschaft ist nach dem Ende der sozialistischen Ära und der Vorherrschaft Moskaus energisch vorangetrieben worden. Die Wirtschaft ist heute zu über 80 Prozent in privater Hand. 21 000 Unternehmen haben einen ausländischen Mehrheitseigentümer und obwohl diese an der Gesamtzahl der Unternehmen nur sieben Prozent ausmachen, stehen sie für 75 Prozent der Ausfuhren.
Die Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland sind dabei besonders eng. Der Handel zwischen beiden Ländern ist viermal so umfangreich wie mit Russland. Über ein Viertel der Direktinvestitionen sind bislang aus Deutschland gekommen, das auch in dieser Beziehung einen Spitzenplatz belegt.
Prägend ist für die ungarische Gesellschaft bis heute noch in vielerlei Hinsicht die Zeit der Doppelmonarchie mit den Habsburgern und die bis ins 20. Jahrhundert hineinreichenden feudalen Strukturen. Formelle Umgangsformen und die Akzeptanz von hierarchischen Ordnungen stammen aus dieser Ära. Sie begegnen einem nicht zuletzt beim Kontakt mit Behörden und auch noch vielen Unternehmen. Ungarn sind zum Beispiel bei geschäftlichen Verabredungen Pünktlichkeitsfanatiker, während sie sich ansonsten nicht in zeitliche Zwangsjacken stecken lassen wollen. Ihr polychrones Zeitempfinden zeigt sich beispielsweise beim Abschiednehmen, das kein Ende nehmen will. "Ungarn verabschieden sich, ohne zu gehen", stellt Arpad Bari in seinem Buch "Kulturschock Ungarn" fest.
Das deutsch-ungarische Verhältnis hat eine lange und wechselvolle Geschichte, die bei geschäftlichen Beziehungen noch immer mitschwingt. Deutsche erhalten wegen der von ihnen erwarteten Tüchtigkeit, ihres Fleißes und ihrer Kultur Anerkennung bei den Magyaren. Diese paart sich aber mit der geschichtlich verwurzelten Furcht vor Überfremdung und Bevormundung. Auf der anderen Seite schwingt aus der jüngsten Vergangenheit beim Grundvertrauen der Deutschen gegenüber den Ungarn die Dankbarkeit für die Öffnung der Grenzen mit. Ungarn wurde so für die deutsche Wiedervereinigung zum Wegbereiter.
Die Rettung der ungarischen Sprache vor der Verdrängung durch das Deutsche war ein zentrales Anliegen im 19. Jahrhundert. Gerade das Sichzurückziehen auf die in Mitteleuropa singuläre ungarische Sprache, die von Ausländern nur unter großem zeitlichen und persönlichen Einsatz erlernt werden kann, hat aber auch die Isolierung der Ungarn gefördert und zeigt den "Hang zur Individualisierung". Paul Lendvai spricht in seinem grundlegenden Werk "Die Ungarn - eine Tausendjährige Geschichte" von der Sprache als der "chinesischen Mauer" der Ungarn. Gleichzeitig werden Fremdsprachenkenntnisse bei Weitem nicht so gefördert, wie im sprachlich "verwandten" Finnland.
Auch die pessimistische Grundstimmung der Magyaren, die sich oft zeigt, hat historische Wurzeln. Die existenzbedrohenden Niederlagen, bei denen sie sich allein und verlassen vorkamen, haben ihr Selbstwertgefühl erschüttert. Nach dem Mongolensturm von 1241 waren dies vor allem die verlorene Schlacht von Mohacs (1526), der 150 Jahre Türkenherrschaft folgten, und im letzten Jahrhundert der "Vertrag von Trianon" (1920), durch den das ungarische Territorium auf ein Drittel seiner Vorkriegsgröße in der k.u.k.-Monarchie schrumpfte. Zu den großen nationalen Katastrophen zählen aber auch die Niederschlagung der Revolution von 1848 durch Habsburger, Kroaten und Russen, sowie 1956 die Unterdrückung des ungarischen Aufstandes durch sowjetische Panzer, die die Unterwerfung unter Moskaus Vorherrschaft besiegelte.
Der typisch schwarze ungarische Humor basiert auf diesen bitteren geschichtlichen Erfahrungen. Über das eigene Elend lachen zu können, erhielt sie am Leben: "Wenn die Ungarn keine Witze mehr erzählen können, geht es mit ihnen zu Ende." Für den Schriftsteller Tibor Déry ist das Ungarische schlechthin "Ein Witz, der über Katastrophen tanzt." Außer Humor war auch Kreativität entscheidend für das Überleben der Ungarn.
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