Von: Google Alerts [mailto:googlealerts-noreply@google.com]
Gesendet: Montag, 5. Mai 2008 11:56
An: antal@jozsef-kutasi.de
Betreff: Der Besuch eines Einkaufszentrums ist für viele Ungarn unerschwinglich geworden.
Ungarn: Die Rückkehr des Marktstandes
Anat Kalman http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,3311905,00.html
Der Besuch eines Einkaufszentrums ist für viele Ungarn unerschwinglich geworden. Deshalb kommen regionale Märkte wieder in Mode, auf denen Familien und Handwerker selbstgefertigte Waren anbieten.
Auf dem großen Platz des einstigen Kolchosenmarktes im nordungarischen Nyíregyháza versetzen die Preise in Staunen. Fünf Paar handgestrickte Socken gibt es da für drei Euro, eine Jeans für sechs Euro, Geschirr und Kochtöpfe für ein paar Cent, ein Glas selbst gemachte Marmelade für 50 Cent und eingelegte Gurken für nicht viel mehr. Die Händler hinter den großen Holztischen kommen aus Ungarn, aus Polen, andere aus der Ukraine, aus Rumänien, und ein paar haben sogar den ganzen Weg aus dem Norden Serbiens und Kroatiens bis hierher zurückgelegt. Nicht alle sprechen richtig Ungarisch - doch um ihre Waren anzubieten, die sie in blauen Plastiksäcken herbei schleppen, reicht es allemal.
Auch die 72-jährige Agnes Hudaky aus der nordserbischen Voivodina ist gekommen. Ihre Hosenanzüge mit den bestickten Jackets sind für umgerechnet 40 Euro zu haben."Das ist alles Handarbeit", sagt sie stolz. "Die Stoffe bekommen wir kostenlos von einer Kleiderfirma. Das sind Reste und ich und meine Töchter nähen diese Hosenanzüge selbst. Für diesen Preis kriegen wir sie dann auf jeden Fall los. Damit schlagen wir jede Konkurrenz." Agnes Hudaky verkauft an jedem Markttag zwei oder drei Stück. Manchmal tausche sie die Hosenanzüge auch einfach ein, sagt sie, gegen Dinge, die sie auf dem Markt findet. Billige Ware muss also nicht unbedingt aus Indien oder China kommen. "Made at home" ist hier die Devise und das Qualitätssiegel: garantiert Handarbeit.
So entsteht in diesem Vierländereck - am Knotenpunkt zwischen Polen, der Ukraine, Ungarn und Rumänien - ein ganz neuer Wirtschaftszweig. Hier organisieren sich die Verlierer der Globalisierung. Denn Käufer wie Händler sind Geringverdiener, Langzeitarbeitslose oder auch kleine Rentner, die von 150 Euro im Monat leben müssen und außerdem einer Inflationsrate von 11 Prozent pro Jahr ausgesetzt sind. Für sie ist dieser Markt ein kleines "Paradies", weil sie selbst etwas herstellen, verkaufen oder gegen etwas anderes eintauschen können. Das regt die eigene Fantasie an und schafft sogar neue Kontakte, erzählt der rumänische Elektriker Dragan Voicu, der ursprünglich aus Temesvar stammt und heute sogar den aufkommenden starken Windböen trotzt. "Alles ist billig, weil alles schwarz gemacht wird. Wir bringen Bettwäsche und verkaufen sie - alles schwarz." Das bringt dem rumänischen Elektriker Dragan Voicu umgerechnet 150 bis 200 Euro im Monat Nebenverdienst. Zu wenig, um wirklich zufrieden zu sein: "Ich wohne hier in Ungarn schon zehn Jahre, aber es ist schwer hier zu leben. Die Preise sind in Euro, der Lohn dagegen ist minimal. Davor macht die Regierung die Augen zu."
Niedrige Preise auf Kosten der Gesundheit
Doch obwohl alles unglaublich billig ist: um Hehlerware handele es sich dabei nicht - wird immer wieder beteuert. Was hier die Preise so niedrig hält: die Arbeitszeit wird nicht bezahlt und alle Materialien stammen aus Abfallbeständen. Da werden Lederschuhe aus noch gut erhaltenen Lederteilen weggeworfener Stiefel neu zusammengenäht - von einem Schuhmacher, der sein Handwerk versteht und dazu eigentlich nur eine neue Sohle benötigt. Pullover, die man nicht mehr braucht, werden wieder aufgezogen, um Wolle zu gewinnen. Oder es werden Modellproben aus den Mülltonnen der großen Dessous-Fabriken geholt, gewaschen, gebügelt und umgenäht. Selbst Stoffballen mit Webfehlern, die der Massenproduktion nicht gut genug waren, werden mit Stickereien versehen. Das überrascht auch Oma Réka Bors: "Gekauft habe ich jetzt noch nichts, aber es ist faszinierend zu sehen, was man alles aus den unachtsam weggeworfenen Resten machen kann."
Und hinter jedem Produkt steht wieder ein Gesicht. Hersteller und Käufer haben viel Zeit und diskutieren gerne ausführlich darüber, wie man etwas noch besser näht, stickt oder kocht. Das macht diesen Markt zu einer Attraktion, die immer mehr Menschen anlockt.
Anat Kalman
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------