Kattintani > FELADAT ÉS CÉL - AUFGABE UND ZIEL - MISSION AND GOAL
Kattintani > Az összes bejegyzés tartalomjegyzéke 2007. szeptember 10.-től

2008. április 13., vasárnap

664 - Internet-Krieger "Tomcat" - Der Preis der Meinungsfreiheit

Von: Google Alerts
Gesendet: vasárnap, 2008. április 13. 11:26
An:
antal@jozsef-kutasi.de

Internet-Krieger "Tomcat"
Der Preis der Meinungsfreiheit

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/gesichtereuropas/762483/

Mit festen Schritt eilt Tamás Polgár über den belebten Erszébet Körut. Redet, mit beiden Armen gestikulierend. Über die kaputte Umwelt und über die kaputte Gesellschaft. Tamás Polgár, 31 Jahre alt Jahre, mittelgroß, Bierbauch, trägt eine schwarze Bomberjacke, schwarze Jeans und festes Schuhwerk. Sein breiter Schädel ist kahlrasiert. Um das Kinn rankt sich ein blonder Ziegenbart.

"Ich bin Buddhist - wusstet Ihr das?" Tamás kleiner Mund verzieht sich zu einem schelmischen Grinsen. Tamás Polgar ist eine schillernde Figur: Studierter Informatiker und szenebekannter Computerspiel-Designer. Buchautor für Grafik-Design und gefragter Referent auf Fachkongressen, auch in Deutschland. Die andere Seite von Tamás Polgar heißt "Tomcat". Unter diesem Namen ist der redegewandte Budapester inzwischen ebenso bekannt. Als Internet-Blogger, Radiomacher und Talkshowgast - "Tomcat" ein nationalistischer Provokateur. Beliebt vor allem bei vielen jungen Ungarn.

Passanten erkennen den markanten Glatzkopf auf der Straße. Manche grüßen ihn mit "Kitartás!" - auf deutsch: "Durchhalten!" Das war der Gruß der ungarischen Faschisten - in den 30er und 40er Jahren.

"Kitartás" ist heute kein Nazi-Gruß mehr, sondern einfach populär, behauptet Tamás. Zumindest unter ungarischen Nationalisten. Bis vor zwei Jahren hat Tamás Polgár Computer-Kriegs-Spiele programmiert. Dann wurde er verhaftet: Verdacht auf Vorbereitung eines Sprengstoffattentates. Kam für zwei Monate in Untersuchungshaft, verlor seinen Job. Jetzt verdient er seinen Unterhalt mit dem Verkauf von T-Shirts via Internet. "Designer-T-Shirts" - sagt Tamás "Tomcat" Polgár . Er produziert sie selber. In einer kleinen Hinterhof-Manufaktur. "Bombagyár" zu deutsch "Bombenfabrik" hat er seinen Laden genannt.

"Vor dem Zweiten Weltkrieg war hier ein jüdisches Spielcasino" , grinst "Tomcat" und öffnet die schwere blaue Stahltür zu seinem Geschäft.

Der Laden ist winzig. Gestrichen in leuchtendem Orange. In Wandregalen stapeln sich schwarze T-Shirts. Davor steht eine Bügel-Presse - zum Bedrucken der Shirts. Neben der Presse hängt ein Schild: "A Munka Szabaddá tesz" -"Arbeit macht frei". Rund 50 T-Shirts produzieren wir am Tag sagt "Tomcat". "Ich und mein Kollege". Der Kollege ein junger Mann mit weichen Gesichtszügen und pechschwarzem Haar, sitzt an einem kleinen Computer-Tisch, aktualisiert gerade den Bombagyár-Internet-Blog. Auch er trägt ein schwarzes T-Shirt, mit Aufdruck. "Das ist eines unserer Populärsten" , sagt "Tomcat"

Ein gelber Smiley im Adolf-Hitler-Look und darunter das Bekenntnis: "Ein großartiger Tag für einen Holocaust". "Der passende Outfit für den Besuch in der Synagoge" heißt es dazu in der Internet-Werbung von "Bombayar". "Natürlich ist das nicht ganz ernst gemeint", beteuert T-Shirt-Designer Polgár. "In Ungarn kann man darüber lachen" behauptet er. Und zieht ein T-Shirt aus dem Regal. Aus der Kategorie "aktuelle politische Motive"

"Das ist Gabor Demszky, der Oberbürgermeister von Budapest", Tamás zeigt auf das Foto auf dem T-Shirt. Für die rechtsextremen Nationalisten ist der Politiker der Liberalen Partei SZDSZ, ein Hass-Objekt. Denn die SZDSZ gilt ihnen als "Judenpartei". Der Kopf des Oberbürgermeisters wird auf dem T-Shirt vom Fadenkreuz eines Zielfernrohres erfasst. Auf seiner Schläfe prangt ein roter Laserpunkt.

"Der mit dem roten Punkt ist der Richtige", heißt es im aufgedruckten Text. In Anlehnung an einen bekannten Werbeslogan für Süßigkeiten. "Wir sind keine Nazis", beteuert der T-Shirt Produzent und Internetpublizist. "Wir kämpfen nur um unser nationales Erbe". Und das meint er ernst. Eine Zeit des nationalen Erwachens sei angebrochen, vor allem unter der Jugend.

Das nationale Erbe, das 1000 Jahre alte "Ungarntum", sehen "Tomcat" und seine vorwiegend jugendlichen Anhänger in großer Gefahr: Es sei bedroht durch Juden aus Israel, die Ungarn unterwandern und aufkaufen wollten. Durch Millionen Einwanderer aus Asien. Durch Schwule, die öffentlich Homosexualität propagieren und damit - wie die Rechtsextremen ernsthaft glauben - das Aussterben der Ungarn beschleunigen. Und - "natürlich" - durch kriminelle Zigeuner, die sich rasend schnell vermehren und die "normalen" Ungarn drangsalieren. "Die jetzigen Gesetze helfen nicht gegen sie", das predigt "Tomcat" seiner Fan-Gemeinde im Internet. Man brauche deshalb spezielle Gesetze - "Zigeuner-Gesetze"".

"Gegen die Zigeuner hilft nur brutaler Druck", glaubt der strenge Nationalist. Mittelalterliche Methoden, wie öffentliches Auspeitschen von Dieben zum Beispiel. "Und wenn das nicht hilft, müssen wir sie eben aus Ungarn vertreiben und irgendwo anders ansiedeln" sagt Tomcat.

"Da würde sich schon was finden lassen", meint er, "Russland ist groß ..." Klar, dass sich das Ungarn, für dass die Nationalisten wie er, kämpfen, wieder in den Grenzen von 1918 ausdehnen muss. Dass sich seine Vorstellungen nicht innerhalb der Europäischen Union verwirklichen lassen, weiß "Tomcat" auch. Deshalb lehnt er die EU-Mitgliedschaft ab, wie die meisten ungarischen Nationalisten:

"Wir sollten aufhören damit. Es funktioniert einfach nicht." Tomcat schaut auf die Uhr, in dreißig Minuten beginnt seine Radio-Show im Internet. Wie immer geht es um vielfältige Verschwörungen gegen die wahren Ungarn. Auch drei Diskussions-Gäste kommen heute in sein Mini-Studio: Ein rechtsextremer Kommunalpolitiker, ein Afghanistan-Veteran und ein Froschforscher. "Zigeunern und Juden wird empfohlen abzuschalten" heißt es zu Beginn jeder Sendung aus "Tomcats" Bombenfabrik.

Kaum weniger als eine Million Juden leben im Ungarn des frühen 20. Jahrhunderts. Assimilierte Juden, die - so schildert der Journalist Paul Lendvai in seinen "Erlebnissen eines Mitteleuropäers - die Mittelschicht Ungarns bildeten zwischen Grundbesitzeraristokratie und Landarbeitern, dass sie Vermittler waren zwischen liberalen und sozialistischen Ideen.
Und auch hier wieder: Alles oder nichts. Aus dem symbiotischen Miteinander wird Antisemitismus, aus Antisemitismus die "ungarische Endlösung". Am 19. März 1944 okkupieren Hitlers Truppen Ungarn , die Eichmann-Sonderkommandos vollstrecken ihre Aufträge. Ende der dreißiger Jahre hat die faschistische " Pfeilkreuzler-Partei" bereits mehrere hunderttausend Anhänger. Hitlers und Mussolinis Unterstützung bei der Rückgabe der Gebiete, die Ungarn im Ersten Weltkrieg verloren hatte, bringen der Ära des Admiral Horthy und den "Pfeilkreuzlern" den Ruf der nationalen Heilsbringer ein. Die Verklärung wirkt lange nach. Erst 2004 - 60 Jahre nach der Deportation einer halben Million ungarischer Juden und Roma in die Vernichtungslager, eröffnet in Budapest das staatliche Holocaust-Gedenkzentrum.

Im Keller der Geschichte
Schüler begegnen dem Holocaust

Tibor Pécsi vom "Holocaust-Gedenkzentrum" bittet seine Gäste in das Foyer. 25 Schülerinnen und Schüler, zwischen 17 und 18 Jahre alt. Sie kommen aus einer Kleinstadt etwa einhundert Kilometer von Budapest entfernt. Der 37jährige Museumspädagoge wird die Gymnasiasten heute Vormittag begleiten. Durch ein dunkles Kapitel der ungarischen Geschichte.

"Teilt euch bitte in Zweier-Gruppen auf", bittet Ausstellungsführer Pécsi die Klasse. Dann überreicht er jedem Team einen Schreibblock mit Stift und ein Funkmikrofon - die Ausrüstung für das nun folgende interaktive Seminar.

Ein schwarz gestrichener Gang windet sich hinab in das Kellergeschoß. Führt durch ebenfalls pechschwarze Räume. Die Schritte der Schüler mischen sich mit Marschier-Geräuschen aus verborgenen Lautsprechern. Jeder Raum steht für eine Station der ungarischen Juden und Roma auf dem Weg in den Untergang.

Dort gibt es Fotodokumente, Schrifttafeln, Großmonitore mit Filmausschnitten und allerlei Gegenstände in Glasvitrinen. Jedes Zweier-Team soll sich mit einem der so illustrierten Themen beschäftigen, Notizen machen. Und anschließend den anderen Teams von ihrer Recherche berichten.

"Dieser Ausflug hier ins Holocaust-Center ist keine Pflichtveranstaltung", sagt Zsófia Smetana, die Geschichtslehrerin der Schulklasse. Viele Lehrer hätten noch immer Angst sich mit dem ungarischen Faschismus zu beschäftigen, denn die Verbrechen dieser Zeit sind für viele Ungarn noch immer ein nationales Tabu. Trotzdem müsse man sich aber damit auseinandersetzen, sagt die 60jährige Pädagogin.

Wir halten das für außerordentlich wichtig. Es ist gut, wenn die Schüler damit konfrontiert werden, dass auch die Ungarn einen Teil zum Holocaust beigetragen haben - und das war nicht gerade wenig.

Über sein Funkmikrofon ruft Museumspädagoge Pecsi die jungen Besucher aus der dunklen Tiefe hinauf in den ersten Ausstellungsraum. Die beiden Schüler, die hier recherchiert haben, tragen ihr Ergebnis vor

"Die Juden haben zur intellektuellen und wissenschaftlichen Entwicklung Ungarns beigetragen", berichtet der 17jährige seinen Mitschülern. Sie hören ihm aufmerksam zu. "Sie haben für den Adel gearbeitet und relativ gut gelebt. Auch dort wo die Ungarn in der Minderheit waren, haben die Juden die Verbreitung der ungarischen Kultur gefördert". "Das hast Du prima erklärt" lobt Seminarleiter Pecsi den Referenten. Und ergänzt: "Die Juden fühlten sich als Ungarn und haben zur Integration der anderen Nationalitäten beigetragen."

Es geht weiter hinab in die dunkle Tiefe. Zum nächsten Kapitel der Geschichte: Der zunehmenden Diskriminierung von Roma und Juden. In Ungarn begann sie bereits wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Und steigerte sich :

"Auf einem Bild stand, dass die Juden nicht mehr telefonieren durften und keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen", trägt eine Schülerin aus ihren Notizen vor.

"Dann wurden ihnen auch noch die Lebensmittel-Gutscheine weggenommen," ergänzt ihre Teamkollegin. "Ich finde das unmenschlich" . "Der große Unterschied zu den anderen europäischen Ländern ist, dass die Juden in Ungarn schon vor dem Einmarsch der Deutschen diskriminiert wurden" erklärt Museumsführer Pecsi den jungen Besuchern.

Weitere Schülerteams referieren nun die schrecklichen Grausamkeiten, die ungarische Pfeilkreuzler und deutsche Nazis ab 1944 an den Juden begingen. Ghettos wurden eingerichtet. Die Deportationen nach Auschwitz begannen.

Mehr als 60 Jahre liegen die Ereignisse nun zurück. Aber die Schüler erkennen: Einige Dinge, der hier dokumentierten Geschichte, sind wieder sehr aktuell. Nachdenklich schaut die siebzehnjährige Noemi auf die Fotos mit den uniformierten faschistischen Pfeilkreuzlern. Sie tragen schwarze Jacken und schwarze Kappen - so wie sie die Magyar Gárda, die rechtsextreme Bürgerwehr, auch trägt, wie sie heute im Straßenbild Ungarns zu sehen ist.

Ja, wie soll ich sagen? Es gibt auch heute noch sehr viele, die diese Nazi-Ansichten vertreten. Und ich höre überall - vielleicht nur als Witz aber vielleicht auch ernst - dieser ist ein Jude und jener ist ein Jude. Mir gefällt das nicht. Man sollte aufgrund seiner Rasse niemanden verurteilen, weder Zigeuner noch Juden, niemanden. Es gibt gute und schlechte Menschen aber man darf aufgrund der Rasse keinen diskriminieren.

Nicht alle jungen Leute denken so. Die Zeit des aggressiven Nationalismus und Faschismus zwischen den beiden Weltkriegen wird von vielen Ungarn noch immer verklärt und glorifiziert, sagt Noemis Lehrerin Zsófia Smetana.

Offiziell hat sich Ungarn bisher noch nicht zu dieser Verantwortung bekannt. Das ist die Ursache für alles.

Viele Ungarn kennen ihre wahre Geschichte nicht. Und viele wollen sie vielleicht auch gar nicht kennenlernen. Und lieber weiterhin an Mythen glauben. "Ein Großteil unserer Besucher sind noch immer Ausländer", bedauert der Museumspädagoge Tibor Pécsi. Die Unterrichtsstunde im Holocaust-Center ist beendet. Die Jugendlichen geben die Mikrofone zurück. Ihre Eindrücke nehmen sie mit nach Hause.

"Dieser ganze Besuch hat mich sehr berührt. Ich wusste nicht , dass die so grausam gewesen sind", sagt ein Schüler, die anderen nicken.

Trachtengruppe oder neue SS ? Das Büro Budapest der Friedrich-Ebert-Stiftung formulierte diese Frage, als im vergangenen Jahr die "ungarische Garde", die "Magyar Gárda" zum ersten mal aufmarschierte. Es ist die fünfte paramilitärische Organisation Ungarns seit 1990, bislang die auffälligste. Aus weniger als 60 Mitgliedern zu Beginn sind eintausend geworden. Die Aufmachung der schwarz uniformierten Garde erinnert an die "Pfeilkreuzler", die Parolen der Gardisten an die weltgeschichtliche Führungsrolle unter der Stephanskrone.

Im Alltag geriert sich die Garde als Schutztruppe. Und weil die Minderheit der ungarischen Roma , die sich auch Zigeuner nennen, in den Augen vieler Ungarn als kriminell gilt, ziehen die Gardisten in die Siedlungen, um einzuschüchtern. Auch in Kerepes, zwanzig Kilometer vor den Toren Budapests, sind sie schon gewesen.

Roma auf dem Horrortrip
Aus der Angst wächst die Gewalt

Jozsef Radics steuert sein klappriges Auto über eine Ausfallstraße Richtung Osten. Der 38jährige Sozialarbeiter will heute eine Familie besuchen, draußen in Kerepes, zwanzig Kilometer vor den Toren Budapests. "In Kerepes kam es kürzlich zu einem weiteren Fall von Segregation", sagt Jozsef. Seine schwarzen Augen funkeln ärgerlich. Im Auftrag einer europäisch finanzierten Stiftung kämpft der zierliche wirkende Ungar gegen die zunehmende sogenannte "Segregation" in ungarischen Schulen. Die man auch Apartheid nennen könnte.

Wir verstehen darunter die physische Segregation, d.h. dass die Zigeunerkinder in extra Klassenräume also nicht zusammen mit den anderen Kindern. Und werden nach anderen Lehrplänen unterrichtet, das nennen wir Segregation. Und das passiert bereits in mehreren hundert Schulen im Land.

Neuerdings auch in dem zehntausend Einwohner-Ort Kerepes. Jozsef biegt nach rechts von der Hauptstraße. Der Wagen rumpelt über eine verschlammte Schlaglochpiste in ein zerzaustes Akazienwäldchen. Hinter den dünnen Bäumen tauchen Häuser auf. Unverputze Ziegelbauten umgeben von schiefen Lattenzäunen und Sperrmüll. Dazwischen hölzerne Schuppen, Plastikplanen, Plumpsklos - das Roma-Viertel von Kerepes. Etwa 500 Menschen leben hier.

"Ich bin auch so aufgewachsen" sagt Jozsef, ein schwaches Lächeln huscht über sein schmales dunkelhäutiges Gesicht. Dann zeigt der im Vorbeifahren auf eine fensterlose Ruine

Das ist das Gemeindehaus für die Zigeuner. Der Bürgermeister hat gesagt: Hier könnt ihr Eure Versammlungen abhalten.

Der Bürgermeister von Kerepes ist Mitglied einer rechtsextremen Splitterpartei. Vor einigen Wochen holte er die Magyar Gárda nach Kerepes. Die selbsternannten "Heimatschützer" veranstalteten einen Fackelzug durch das Zigeuner-Viertel. Die Elternschaft der örtlichen Schule wollte mit Hilfe der rechtsextremen Magyar Gárda durchsetzen, dass die Roma ihre Kinder dort nicht mehr hinschicken

Jozsef parkt den Wagen vor einem der unansehnlichen Häuser.

"Der hier wohnenden Familie wurden dann alle zehn Kinder weggenommen und in ein Erziehungsheim gesteckt", sagt Jozsef. "Nur am Wochenende dürfen sie jetzt noch nach Hause kommen." So wie heute, am Samstagvormittag.

Drei Räume hat das kleine Haus. Der Fußboden ist aus gestampftem Lehm. Eine Küche gibt es nicht und auch kein Badezimmer. Ein zerbeulter alter Holzherd heizt die ganze Wohnung. Es gibt einen Schrank, einen Sessel und einen Tisch. Einige Vasen mit bunten Plastikblumen. Und Wandteppiche mit Bildern von Jesus und Maria. Im mittleren Zimmer steht ein großer Fernseher und darauf ein neuer DVD-Player.

Zehn Kinder, zwischen drei und 16 Jahren alt, lümmeln sich auf einem Matratzenlager. Gucken einträchtig einen blutrünstigen Horrorfilm.

"Die Eltern sind einkaufen. Gestern gab es das Geld von der Sozialhilfe" erklärt ein älterer Mann mit einem gewaltigen schwarzen Schnauzbart und Hut. Der Nachbar will nachschauen, was die Fremden hier suchen. Wie er und die anderen sich neulich bei dem Fackelzug der Magyar Gárda gefühlt haben?

Sehr schlecht! Wir sind doch auch Menschen! Wenn Sie uns angegriffen hätten, hätten wir zurückgeschlagen. Wenn sie einen von uns getötet hätten, dann hätten auch zwei oder drei von ihnen dran glauben müssen.

"Die Demonstranten mit den Fackeln haben uns Kinder die ganze Zeit beschimpft" sagt Roszi wütend. Sie ist 16 Jahre und das Älteste der zehn Kinder.

Warum seid ihr dreckigen Zigeuner gekommen. Was wollt ihr hier auf der Schule? Wir verstehen nicht, warum sie so etwas sagen. Wir sagen ja auch nicht zu ihnen: du stinkender Bauer.

Der Nachbar mit dem mächtigen Schnauzbart nickt energisch. Seit dem Aufmarsch der Magyar Gárda habe sich das Verhältnis unter den Bewohnern von Kerepes noch weiter verschlechtert.

Eine Nachbarin mit kirschrot gefärbten Haaren mischt sich ein. "Aber jetzt, nach dem Aufmarsch der Magyar Gárda, halten wir Zigeuner noch besser zusammen", sagt die Nachbarin. "Wenn es irgendwo Probleme gibt, im Laden oder in der Schule dann sind jetzt gleich 30 andere da". Aber die Behauptung, alle Zigeuner seien Kriminelle, ärgert auch sie maßlos.

Unter den Ungarn gibt es genauso viele schlechte Menschen, wie unter den Zigeunern. Man soll uns nicht diskriminieren, so wie jetzt bei diesem Aufmarsch. Die Leute wollen, dass die Roma-Kinder im Kindergarten und in der Schule getrennt werden. Aber das darf nicht sein: Sie sollen gemeinsam zur Schule gehen, egal welche Hautfarbe sie haben.

Und auch bei der Arbeitssuche dürfe man die Roma nicht ständig benachteiligen, schimpft die Frau, die früher auf dem Gemeindeamt von Kerepes gearbeitet hat und jetzt arbeitslos ist.

Es müsste so sein: Wo drei Ungarn arbeiten, sollten auch zwei Zigeuner arbeiten. Aber bei uns auf dem Amt gab es eine Umstrukturierung, ich als Behinderte wurde rausgeworfen. Jetzt arbeiten dort nur noch "echte" Ungarn. Aber wir wollen nicht von Almosen leben.

Die Nachbarin legt ein Stück Holz in den altersschwachen Ofen. Der Horrorfilm vom DVD-Player ist zu Ende. Die Kinder sind jetzt alle in Bewegung. Eines fegt den Lehmfußboden mit einem Strohbesen. Zwei räumen auf. Die anderen spielen mit ihren kleinen Geschwistern. Für die Kinder ist es selbstverständlich, dass sie ihren Eltern helfen müssen, sagt Sozialarbeiter Joszef. Sie fühlen sich wohl in ihrer großen Familie und natürlich haben sie auch Träume für ihre Zukunft. Zumindest die größeren.

"Ich möchte einmal Polizist werden" sagt der zehnjährige Bela. Laudra, seine 13-jährige Schwester träumt von einer Ausbildung als Automechaniker. Und Roszi die Älteste, möchte später Familien helfen, so wie Jozsef. Auch der Sozialarbeiter und Kämpfer gegen die zunehmende Segregation, selber ein Roma, hat einen Traum für die Zukunft.

Ich habe gar keine großen Erwartungen. Ich möchte nur ein Europäer sein.

Die Mehrzahl der Roma sieht - laut Umfragen - jedoch schwarz für ihre Zukunft in Ungarn. Sie möchte das Land verlassen, auswandern nach Kanada.

Polarisierung und Zuspitzung - Ungarns Geschichte ist voll davon. Der Traum vom großen Reich der Stephanskrone im Karpatenbecken hier, der Alptraum vom Untergang als einsame Nation ohne freundlich gesinnte Nachbarn dort. Für die Entwicklung des Landes ist der Dualismus der Parteien, das Denken in Rechts und Links, fatal. Reformen scheitern, das geltende Sozialsystem bietet zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben, Ungarns Bevölkerung altert, die Geburtenrate ist niedrig, die Staatsschulden sind gewaltig. Fast die Hälfte der Bevölkerung wünschte sich mehr Dialog, mehr Differenziertheit, weniger Hass in der Politik. Die Bürger sind der Konfrontationen müde. Und so keimt im EU-Land Ungarn die Hoffnung, dass die politische Kultur sich ändert und bessere Zeiten ins Haus stehen.
Streiten für eine bessere Zukunft
Junge Ungarn diskutieren über Politik

Fruszina, Péti und Tibor stehen vor Gezás Laptop, werden einen Blick auf die Online-Ausgabe der Zeitung Népsábadság. Dort steht wieder etwas über die Magyar Gárda, die rechtsgesinnte uniformierte Heimatschutztruppe.


Ich habe das nur kurz mitgekriegt, dass da ein paar Leute von der Magyar Garda ein paar Vertreter von der Zigeunerszene nicht in den Verhandlungssaal reinlassen wollten und dass es dort ein paar kleinere Probleme gab, aber so gut hab ich das nicht mitbekommen.

Peti und die anderen haben auch davon gehört. Es geht um ein Verbots-Verfahren, dass die ungarische Staatsanwaltschaft gegen die Magyar Garda angestrengt hat. Peti findet, dass die uniformierte rechte Truppe so schnell wie möglich aufgelöst werden sollte

Peti, ein Anhänger der ungarischen Sozialisten, hält die Magyar Grada für eine absolut faschistische Organisation. Freund Tibor dagegen, der sich als "eher rechts" bezeichnet und mit der Fidez-Partei sympathisiert, sieht das ganz anders. Und schon fangen alle Anwesenden an heftig miteinander zu diskutieren. Auf deutsch und ungarisch.

(Tibor) Da der Staat nix macht, kommen von der Gesellschaft ein paar Leute allgemein, okay, wir machen dann eine Garde und wir tun die dann lehren, damit die dann Ordnung lernen und so weiter, also das ist eine Reaktion der Gesellschaft, weil der Staat da halt nichts tut, und deswegen finde ich das okay. (Peti ungarisch, Géza übersetzt) Der Staat müsste diese ganzen Schritte eigentlich tun, damit alle normal vernünftig und in Frieden leben können. Aber ein normaler Bürger, wie jeder von uns kann nicht einfach auf die Straße gehen und Ordnungsmacht oder Polizei spielen, dafür haben wir einfach keine Ermächtigung

Die gezielte Einschüchterung der Roma, die Gewaltandrohung, das uniformiertes Auftreten in der Öffentlichkeit. Das alles erinnert ihn an Deutschland in den frühen 30er Jahren, sagt Peti. Als dort Hitlers SA-Männer aufmarschierten. Géza nickt Und so ganz kann auch Tibor dieses Argument nicht abwehren. "Aber trotzdem", sagt er:

Also ich finde die Garde schon ein bisschen positiv (lacht auf) ich meine aber die sollten nicht so faschistisch auftreten, aber von dem ganzen Gefühl her, also so ein bisschen Nationalgefühl sollte schon in jedem drinne sein.

Géza, der überwiegend in Deutschland aufgewachsen ist, mischt sich ein: "Mit dem Nationalgefühl ist das so eine Sache", findet er. Géza war während seiner Punker-Zeit in Deutschland auch in der linken Antifa-Bewegung aktiv, wo jeglicher Nationalstolz absolut verpönt war

Wenn jedes noch so kleines Nationalgefühl, was in Maßen auch gesund ist, denke ich, dann sofort als faschistoid niedergeschrien wurde, das ging mir einfach auf den Wecker muss ich sagen. Das gibt es in Ungarn nicht. Dafür wird in Ungarn vieles wieder als nicht-rassistisch und nicht-faschistisch durchgelassen, was meiner Meinung nach dann doch dazu gehört.

Als Géza nach Ungarn gezogen ist, hat er versucht zusammen mit Peti auch in Budapest eine junge Antifa-Gruppe aufzubauen. Die beiden organisierten einige Demos und Konzerte mit "Rock gegen Rechts". Aber die anfängliche Resonanz der Budapester Punkszene flaute schnell wieder ab. Links zu sein ist einfach nicht mehr cool unter den jungen Leuten, glaubt Peti. Und für die Demokratie zu kämpfen, halten sie für sinnlos. Kein Wunder, sagt Fruszina, die Politik in Ungarn kann man auch nicht mehr ernst nehmen.

Sie sagt:, egal was für Vorschläge kommen, das andere Lager behauptet dann das genaue Gegenteil. Egal was für Vorschläge kommen, die werden einfach sofort niedergemacht. Da gibt es keinen politischen Diskurs, keine Auseinandersetzung darüber., es wird alles von der anderen Seite abgeschmettert oder abgeblockt ohne es jetzt zu begründen, einfach aus Prinzip wird alles abgelehnt.

Die alltägliche Obstruktion hat das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie nachhaltig erschüttert. Trotzdem - ein Zusammenbruch des Staates steht noch nicht unmittelbar bevor, glaubt Peti:


Er sagt eine Revolution wird es bestimmt nicht geben, da 200 Fußball-Hooligans die Steine schmeißen keine Revolution machen (Tibor lacht) aber es liegt im Grunde genommen an den Parteien selber, die sich hinsetzen müssen, sich ans Herz fassen müssen miteinander kommunizieren müssen miteinander arbeiten müssen und das ist eigentlich die einzige Möglichkeit.

Die anderen in der Runde nicken. Fruszina zündet sich eine Zigarette an, Tibor und Péti gießen sich noch ein alkoholfreies Bier ein. Géza einen Rotwein. Alle in der Runde finden, dass es das Beste wäre, wenn ganz neue Leute in die Politik kämen. Politiker, die sie sich endlich auf die wirklichen Probleme konzentrieren. Dann könnte sich vielleicht auch die aufgeheizte Atmosphäre im Land endlich wieder beruhigen, hofft Peti:

Also er wünscht sich mehr Solidarität zwischen den Menschen, weil sich die Menschen einfach nicht mehr miteinander beschäftigen. Einer der Gründe dafür ist auch, dass die Gesellschaft und das ganze Land überpolitisiert ist - es wird alles mit Politik in Verbindung gebracht und er wünscht sich, dass das wieder zurückgeht, dass man wieder normal miteinander reden kann über alles Mögliche ohne dass eine derartige Spaltung zwischen den Menschen wäre und dass die Menschen auch wieder für einander da wären und nicht nur gegeneinander.

Peti hat Recht, finden die anderen. Fruszina schaut auf die Uhr es ist halb elf. Das alkoholfreie Bier ist leer und es ist Zeit aufzubrechen. Morgen müssen alle wieder früh aufstehen und arbeiten. Zum Abschied blicken alle vier noch einmal aus dem Fenster von Gézas neuer Wohnung im 14. Stock.

Von hier oben sieht das nächtliche Budapest ganz friedlich aus.

Literatur
János Székely, Verlockung (Roman 1946, Neuerscheinung in deutscher Sprache: Schirmer Graf Verlag 2005, ISBN 3-86555-015-0)

(Erstmals erschienen 1959, Übersetzung von Ita Szent-Ivángyi. Für die Neuauflage 2005 wurde die Übersetzung überarbeitet von Hanna Siehr.)

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------