Kaum hatte Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány (MSZP) das Konjunktur- und Reformpaket seiner Minderheitsregierung vorgestellt, legte am Samstag vor zwei Wochen auch das so genannte Reformbündnis ein auf fünf Jahre angelegtes Reformprogramm vor. Das Reformbündnis formierte sich im November des Vorjahres. Es setzt sich aus den Vorsitzenden der neun Arbeitgeberverbände im Landesrat für Interessenausgleich (OÉT), dem Vorsitzenden der Ungarischen Industrie- und Handelskammer sowie dem Präsidenten der Akademie der Wissenschaften und dessen Vorgängern zusammen. Was die Richtung angeht, verfolgen die Programme von Regierung und Reformbündnis ähnliche Ziele. Beide sehen unter anderem eine Reduzierung der staatlichen Ausgaben, eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast sowie eine Anhebung des Rentenantrittsalters vor. Der große Unterschied liegt allerdings im Umfang der vorgeschlagenen Maßnahmen. Während sich die Regierung nicht zuletzt aus politischen Gründen die soziale Belastbarkeit der Bevölkerung vor Augen halten muss, blendet das Reformbündnis die zu erwartenden dramatischen sozialen Folgen ihres Konjunktur- und Reformprogramms fast völlig aus. Es verfolgt ausschließlich das Ziel, den festgefahrenen Karren der ungarischen Wirtschaft aus dem Dreck zu ziehen und die Grundlagen für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes und ein dauerhaft hohes Wirtschaftswachstum zu schaffen. Um die ungarische Wirtschaft wieder fit zu machen, sind in den Augen des Reformbündnisses die radikale Kürzung staatlicher Ausgaben und die Senkung von Steuern und Abgaben unerlässlich. Laut dem vorgelegten Programm des Gremiums sollen die Staatsausgaben bis zum Jahr 2013 von 50% auf 42% des Bruttoinlandproduktes (BIP) gesenkt werden. Diese Senkung entspräche einer Summe von nicht weniger als 3 Bio. Ft (etwa 10 Mrd. Euro). Ansetzen will das Reformbündnis den Sparstift vor allem bei den enorm hohen Betriebskosten des Staatsapparates, bei kostspieligen staatlichen Unternehmen wie den Staatsbahnen (MÁV) sowie bei den Renten und Sozialausgaben ansetzen. Mit Blick auf die Renten soll nicht nur die 13. Monatsrente wegfallen, sondern auch der Zugang zum Frühruhestand erschwert und das Pensionsantrittsalter auf 65 Jahre erhöht werden. Bei den Sozialausgaben sollen vor allem die Leistungen und Beihilfen für die Familien gekürzt werden. Kindergeld etwa sollen nur die „Bedürftigen“ erhalten, was heißt, dass seine Auszahlung von der Höhe des Einkommens abhängig gemacht werden soll. Die Summe, die es bei den staatlichen Ausgaben einsparen will, plant das Reformbündnis den Unternehmen und Steuerzahlern in Form von Steuer- und Abgabenkürzungen zugute kommen zu lassen. Insgesamt sollen sich die Steuerentlastungen auf knapp 3 Bio. Ft belaufen. Heute müssen Unternehmen und Steuerzahler rund 40% ihrer Bruttoeinkommen an den Staat abführen. Beherzigt die Regierung den Vorschlag des Reformbündnisses, wird die Steuer- und Abgabenlast nur noch bei 32% liegen. Ein weiterer Vorschlag des Reformbündnisses richtet sich auf die alsbaldige Einführung des Euro. Demnach soll Ungarn bereits in der zweiten Hälfte 2009 dem ERM-2-Währungssystem beitreten, das als Vorzimmer für den Beitritt zur Währungsunion gilt. Der Euro soll schließlich in drei Jahren eingeführt werden. Der Leiter der wirtschaftspolitischen Arbeitsgruppe des Reformbündnisses, László Békesi, erklärte gegenüber dem Nachrichtenportal hirszerzo.hu, dass das Bündnis ins Leben gerufen worden sei, weil der ungarischen Gesellschaft endlich reiner Wein eingeschenkt werden müsse, was die Probleme des Landes anbelangt, und weil die Politik sich schlechterdings scheut, tiefgreifende Reformen anzupacken. Was in Ungarn unter dem Etikett „Politik“ laufe, sei nichts anderes als eine „PR-Demokratie“, so Békesi. Das Reformbündnis sei denn auch eine widernatürliche Kreatur. In einem „normalen Land“, sagte Békesi, werde ein solches Gremium nicht benötigt. Der Publizist der linken Zeitung Népszava, Tibor Várkonyi, übte Kritik am Programm des Reformbündnisses. Laut Várkonyi leben die Mitglieder des Gremiums in einem „wirtschaftlichen Elfenbeinturm“. Sie hätten von den „Alltagssorgen des Volkes“ keine Ahnung. Steuern zu senken und die Unternehmen zu entlasten sei sicher ein gutes Rezept, indes wäre dies für weite Teile der Bevölkerung verheerend. Es sei „unethisch“, Opfer von denjenigen zu verlangen, die schon seit Jahren Opfer bringen, schreibt Várkonyi. -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- |