Donnerstag, 20.11.2008 -----Handelsblatt.com---------
19.11.2008 Rezession und Finanzkrise hinterlassen Spuren
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Die Ungarn müssen sparen-----
von Stefan Menzel
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WIEN. Ungarn stehen schwere Zeiten ins Haus. Nach einigen guten Jahren mit vergleichsweisen hohen Wachstumsraten muss das Zehn-Millionen-Volk an der Donau wenn nicht noch in diesem, aber spätestens im nächsten Jahr den Gürtel deutlich enger schnallen. Die wirtschaftliche Aussichten sind alles andere als rosig, nächstes Jahr könnte die Wirtschaft sogar schrumpfen.
Auslöser ist die hohe Auslandsverschuldung des Landes. Weil sowohl der Staat als auch die privaten Haushalte in den vergangenen Jahren zu sehr auf Pump gelebt haben, ist gerade das Vertrauen ausländischer Investoren in das Land in Zeiten der weltweiten Finanzkrise verloren gegangen. 2002 erreichte das Haushaltsdefizit des Staates einen Anteil von neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zur Erinnerung: Um Mitglied in der Euro-Zone zu werden, darf ein Staat maximal ein Haushaltsdefizit von drei Prozent haben. Im Oktober hatte sich die Lage in Ungarn dramatisch verschärft: Die Landeswährung Forint verlor innerhalb weniger Wochen zehn Prozent ihres Wertes gegenüber dem Euro, ausländische Investoren wollten keine ungarischen Staatsanleihen mehr kaufen. Es war eine Abwärtsspirale: Überall machte sich die Angst eines Staatsbankrotts breit.
Deshalb war es Ende Oktober wie ein große Erlösung für die ungarische Regierung und die Nationalbank in Budapest: Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU räumten dem kleinen Land an der Donau einen Kreditrahmen von 20 Milliarden Euro ein. Die unmittelbare Angst vor einem Bankrott war verloren. Der Westen hat mit seiner generösen Hilfe klar gemacht, dass er Ungarn nicht fallen lassen wird. Zudem sollte ein möglicher Domino-Effekt verhindert werden. Wäre Ungarn gefallen, hätten schnell noch andere Staaten folgen können. Die ungarische Nationalbank half auch mit, indem sie den Leitzins Mitte Oktober auf einen Schlag um drei Prozentpunkte hochsetzte.
Seitdem hat sich die Lage an der Donau zwar wieder ein wenig beruhigt, aber die große Entspannung will doch nicht einsetzen. Die Zinsen für Staatsanleihen sind immer noch immens hoch und sie werden es auch nach Expertenmeinung noch länger bleiben - Ausdruck weiterhin anhaltender Skepsis unter Investoren. "Die Verbesserung der Lage dauert wahrscheinlich doch länger, als wir alle gedacht haben", sagt Orsolya Nyeste, Volkswirtin der österreichischen Ersten Bank in Budapest. Auch die ungarische Währung hat an den vergangenen zehn Tagen wieder etwas an Wert verloren und liegt jetzt bei knapp unter 270 Forint je Euro - fast so schlecht wie zu den extremen Krisenzeiten Mitte Oktober.
Auch die internationale Finanzwelt geht derzeit nicht gerade zimperlich mit dem kleinen Staat um. Alle großen Rating-Agenturen (wie Moody's und Fitch) haben Ungarn an den vergangenen Tagen heruntergesetzt. Am Montag dieser Woche war Standard & Poor's als letzter an der Reihe und stufte das Land ebenfalls zurück, und das auch noch verbunden mit einem negativen Ausblick. Ungarn steht da, wo eigentlich kein Land hinmöchte: Kommt es zu einer weiteren Herabstufung, hätte Ungarn den "Junk-Bond-Status" erreicht, mit dem Investoren vor einem totalen Ausfall gewarnt werden sollen.
Standard & Poor's macht sich vor allem Sorgen um die politische Stabilität des Landes. Und das nicht ganz zu unrecht: Ungarn hat nur eine sozialistische Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheiten regelmäßig neu im Parlament suchen muss. Deshalb hat sie es umso schwerer, Veränderungen zur wirtschaftlichen Stabilisierung des Landes durchzusetzen. Erst am Montag dieser Woche hat der Haushaltsausschuss des Budapester Parlaments die Verabschiedung eines Hilfspakets für die ungarischen Banken blockiert.
Andererseits gibt es durchaus positive Nachrichten aus dem kleinen Land. Erstaunlicherweise gelingt es der Regierung rasend schnell, das Staatsdefizit zu senken. In diesem Jahr wird es voraussichtlich bei 3,3 Prozent liegen (2007: fünf Prozent). In den beiden kommenden Jahren sollen es gut zwei Prozent sein. Auch die Inflation geht auf ein normales Maß zurück. In den nächsten Jahren soll die Geldentwertung auf drei Prozent fallen, im vergangenen Jahr waren es noch 7,4 Prozent. In Sachen Stabilität und Vertrauenssicherung hat die ungarische Regierung demnach schon Einiges erreicht.
Trotzdem muss sich die Regierung Kritik anhören lassen. Denn die sozialistische Regierung, die heute auf Stabilität schwört, hatte in den vorangegangenen Jahren auch die immens hohen Defizite zu verantworten. "Diese Krise war vorhersehbar", schimpft etwa György Jaksity, Gründer der einheimischen Investmentbank Concorde Securities und einer der angesehensten Finanzexperten des Landes. Die Regierung hätte aus seiner Sicht früher einschreiten müssen, dann wäre Ungarn Einiges erspart geblieben.
Das nächste Jahr wird auf jeden Fall schwierig, weil dann auch die weltweite Rezession das sowieso schon geschwächte Land treffen wird. Schon in diesem Jahr liegt das Wirtschaftswachstum gerade noch bei 1,5 Prozent - 2009 werden es wohl magere 0,1 Prozent sein. Ungarn ist vergleichsweise stark in die westlichen Volkswirtschaften eingebunden, etwa durch die eigene Automobilindustrie. Die Krise in Frankreich oder Deutschland hinterlässt dann auch zwangsläufig ihre Spuren im kleinen Ungarn. Die Zahl der Autozulassungen im Donau-Land wird wegen der Rezession nächstes Jahr wahrscheinlich um mehr als zehn Prozent fallen - klares Signal dafür, dass die Ungarn sparen müssen.
Damit das Land an der Donau in Zukunft besser gegen große Krisen gewappnet ist, soll die Anbindung an das westliche Wirtschaftssystem noch größer werden. Nach der EU-Mitgliedschaft strebt das Land nun auch die Aufnahme in die Euro-Zone an. Der Forint ist zum Teil auch Opfer internationaler Finanzspekulation geworden - mit dem Euro als Landeswährung würde Ungarn das so schnell nicht wieder passieren. "Nächstes Jahr könnte Ungarn schon alle Aufnahme-Kriterien erfüllen", glaubt András Simor, Chef der ungarischen Nationalbank. Allerdings müsste auch die strukturellen Reformen wie etwa bei der Minderung des staatlichen Haushaltsdefizits weitergehen, um eine Chance für die Euro-Aufnahme zu haben.
Die Entscheidung darüber fällt allerdings bei der EU in Brüssel und in der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Und die Verantwortlichen dort werden erst eine wirkliche Stabilisierung für eine Aufnahme in die Euro-Zone verlangen. Und das wird sicherlich noch ein paar Jahre dauern.
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