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Gesendet: szombat, 2008. december 27. 10:11
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EU-Ratspräsidentschaft
Die Legende von den Euroskeptikern
27. Dezember 2008 Selten klaffen Außen- und Selbsteinschätzung so weit auseinander wie im Falle der Tschechen und ihrer EU-Präsidentschaft. Es vergeht zur Zeit kaum ein Tag, an dem nicht irgendwer irgendwo in der EU gegen die Tschechen vom Leder zieht. Die wiederum wundern sich über die Arroganz, mit der ihnen Lektionen erteilt werden.
„Unter keinem guten Stern“ beginne diese Präsidentschaft, orakelt da etwa eine Brüsseler Korrespondentin der französischen Nachrichtenagentur AFP, die sogar noch im Prager Präsidentschaftsmotto „Europa ohne Grenzen“ eine „Spitze gegen Deutschland“ erkennen will. „Unberechenbar“ seien die Tschechen, glaubt die französische Zeitung „Le Figaro“, angeführt von einem „cholerischen, ultraliberalen und europhoben Präsidenten“ („Le Monde“), dem „kauzigen alten Onkel Klaus“ („The Economist“). Vier Jahre nach dem Beitritt der Tschechischen Republik zur EU ist von ihr wieder wie von einem fernen Land die Rede, über das man wenig weiß.
„Wir sind nicht euroskeptischer als andere Länder“
Die tschechische Diplomatie hat alle Mühe, das Bild einer störrischen, Europa gegenüber verschlossenen Nation zurechtzurücken. „Unsere Reputation entspricht nicht der Wirklichkeit“, hatte Außenminister Karel Schwarzenberg schon im Oktober in einem Gespräch mit der französischen Zeitung „Le Monde“ gesagt: „Wir sind nicht euroskeptischer als andere Länder in Europa, und ich bedauere es, dass wir als die Bösen dargestellt werden.“ Das Eurobarometer bestätigt Schwarzenberg. Nach Angaben der Meinungsforscher der EU glauben immerhin 47 Prozent der Tschechen, dass sich „die Dinge in der Europäischen Union ganz allgemein in die richtige Richtung“ entwickelten; sie geben sich damit optimistischer als die Deutschen (41 Prozent), die Franzosen (29), die Österreicher (26) oder gar die Italiener (20).
„Positiv“ wird die EU von 44 Prozent der Tschechen, aber nur von 34 Prozent der Ungarn und 29 Prozent der Österreicher beurteilt. 62 Prozent sind der Meinung, dass die EU-Mitgliedschaft der Tschechischen Republik insgesamt gesehen Vorteile verschafft habe - in Deutschland sind nur 58, in Frankreich 51 und in Ungarn 39 Prozent dieser Ansicht. Schließlich vertrauen die Tschechen der Europäischen Kommission mit 54 Prozent deutlich mehr als Franzosen (45), Deutsche (43) und Briten (27). Die Legende von den Tschechen als euroskeptischer Nation hält den Fakten nicht stand, erfreut sich aber selbst bei seriösen Zeitungen großer Beliebtheit.
Die Tschechen lieben ihren Staat, nicht aber ihre politische Klasse
Dazu hat gewiss beigetragen, dass sich die Ansichten des tschechischen Präsidenten nur schwer in das überwiegend positive Meinungsbild integrieren lassen, das die Meinungsforscher des Eurobarometer zeichnen. Was Václav Klaus sagt, wird zwar nicht selten bis zur Unkenntlichkeit entstellt, um es anschließend als populistisch und nationalistisch verurteilen zu können. Aber außer Streit steht, dass er ein entschiedener Gegner einer immer weiter gehenden europäischen Integration ist. Die Debatte über Ziel und Zweck der Europäischen Union, die er anstoßen möchte, ist auch in der Tschechischen Republik eine Sache von Minderheiten. Es gibt wenig Grund, mit der Methode „pars pro toto“ vom Präsidenten auf „die Tschechen“, deren Parlament oder deren Regierung zu schließen. Nicht minder falsch aber wäre es zu verkennen, dass die Popularität des tschechischen Präsidenten vor allem darin besteht, dass er als glaubwürdiger Vertreter der nationalen Interessen angesehen wird.
Das Verhältnis der Tschechen zu ihrer politischen Klasse ist überwiegend negativ, darin unterscheiden sie sich kaum von anderen Nationen. Anders ist es mit ihrem Verhältnis zum Staat bestellt. Dieses ist von einer Innigkeit, die man sich in anderen Ländern Europas, gerade auch in Deutschland, kaum mehr vorstellen kann. Man sieht es an den glänzenden Augen, wenn im „Smetana-Saal“ die glagolithische Messe ertönt; man hört es sogar aus dem Wetterbericht heraus, wenn eine Kaltfront über „unsere Republik“ zieht. Die Tschechen sind zu pragmatisch, um Pathos aufkommen zu lassen. Wie ihnen bei aller Reserviertheit gegenüber dem Ausland ein auf der Annahme eigener Überlegenheit beruhendes Nationalbewusstsein fremd ist, so ist auch ihre Beziehung zur Staatlichkeit eher verhalten als auftrumpfend.
Jetzt würden sie gerne selbst einmal regieren
Selten aber wurde die Identität von Staat und Nation so weit getrieben wie von ihnen, selbst der Preis der Vertreibung von drei Millionen Deutschen erscheint ihnen bis heute nicht zu hoch. Die Erinnerung an den Staatsverlust, der sich von 1938 bis 1945 in Etappen vollzog und dann noch einmal unter umgekehrten Vorzeichen von 1948 bis 1989, überschattet jede Debatte über die Übertragung von Souveränitätsrechten auf die supranationale Ebene. Über der samtenen Revolution im November 1989 wehten die tschechischen Nationalfarben, das Ende der kommunistischen Herrschaft wurde als Rückgabe des Staates an die Nation gefeiert. Die Tschechen seien jahrhundertelang von Wien und jahrzehntelang von Moskau aus regiert worden, sagte Klaus einmal, jetzt würden sie gerne einmal selbst regieren. Kein Zweifel, dass er damit der vorherrschenden Stimmung Ausdruck verlieh.
In der österreichischen Reichshälfte der habsburgischen Doppelmonarchie gab es zwei Städte, die sich in Sachen Nationalismus vor allen anderen auszeichneten: Prag und Triest. Bei Tschechen und Italienern war der antihabsburgische, antiösterreichische Effekt stärker als bei den anderen Nationalitäten des Vielvölkerstaates. Heute aber gehen beide Städte mit dieser Erinnerung völlig anders um. Wer in Triest ankommt und aus dem Bahnhof tritt, sieht im gegenüberliegenden Park als erstes das Denkmal der Kaiserin Elisabeth, das schon vor einigen Jahren wieder aufgestellt wurde. Auf der Piazza Venezia steht seit kurzem die Statue des Erzherzogs Maximilian, des Kaisers von Mexiko - dies in der Heimatstadt des Irredenta-Helden Guglielmo Oberdan, der 1882 nach einem missglückten Bombenattentat auf Kaiser Franz Joseph hingerichtet wurde und nach dem in ganz Italien Straßen und Plätze benannt sind. Habsburg und Irredenta gehören der Geschichte an, und Triest pflegt mit seiner Geschichte einen entspannten Umgang.
Als Europäer fühlen sich die wenigsten
In Prag ist das anders. Die Zerstörung der 15 Meter hohen Mariensäule auf dem Altstädter Ring am 3. November 1918, an der sich Schwejk-Autor Jaroslav Hasek eifrig beteiligt hatte, war ein symbolischer Staatsgründungsakt, der als solcher bis heute tabu ist.
Seit Jahren bemüht sich eine „Gesellschaft zur Erneuerung der Mariensäule“ beim Magistrat um die Genehmigung, eine Kopie der Stadt Prag zu schenken und auf dem Altstädter Ring aufzustellen. Alle Ansuchen wurden bisher ohne Begründung abgelehnt. Im westlichen Ausland ist dies so schwer zu verstehen wie der skurrile Streit zwischen Kirche und Staat um den Besitz des Veitsdoms. Aber Geschichte vergeht in diesem Teil Europas nun einmal langsamer, und die Nation steht hoch im Kurs, während sie anderswo wie ein Relikt vergangener Zeiten betrachtet wird.
Auf die Frage nach seiner Identität sagte Václav Klaus einmal, er fühle sich zuerst als Tscheche, dann als Slawe. Als „Europäer“ fühlen sich auch die meisten Tschechen nicht. Sie begrüßen die Mitgliedschaft in der EU, weil sie ihnen Vorteile bringt, misstrauen aber europäistischen Heilsversprechen. Sie selbst erhoffen sich von ihrer EU-Präsidentschaft keine großartigen Fortschritte, weil sie sich ihres eigenen Gewichtes in der Union bewusst sind. Alexandr Vondra, der für Europa-Angelegenheiten zuständige stellvertretende Ministerpräsident, sieht in der niedrigen Erwartung, die in das tschechische EU-Halbjahr gesetzt wird, in typisch tschechischem Understatement sogar einen Vorteil: Wenigstens erspart sie Enttäuschungen.
Text: F.A.Z.
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