Von: Google Alerts
Gesendet: Donnerstag, 25. Juni 2009 06:58
An: antal@jozsef-kutasi.de
Betreff: http://www.welt.de/die-welt/article3993524/Reihenweise-Hass.html
Dieser Google Alert wird Ihnen bei Veröffentlichung von Google zur Verfügung gestellt..
Reihenweise Hass
Von Krisztina Koenen 25. Juni 2009, 04:00 Uhr
Bei der Europawahl kam Ungarns rechtsgerichtete Partei Jobbik auf 15 Prozent der Stimmen. Jobbik hetzt gegen Roma, Juden und Amerikaner. Dabei ist die wirtschaftliche Situation des Landes besser denn je
In einer Würdigung der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher schrieb ihr ehemaliger Schatzkanzler Nigel Lawson, Demokratie werde häufig überbewertet. Die lange britische Geschichte des Parlamentarismus habe ihn gelehrt, so Lawson, dass Wahlen wenig wert seien ohne Freiheit, die Herrschaft des Rechts und Institutionen, die ihren Namen verdienten. Diese Worte könnten die Kurzfassung einer Analyse der ungarischen Wahlergebnisse zum Europäischen Parlament sein, die durch die großen Gewinne der rechtsextremen Partei Jobbik mit fast 15 Prozent der Stimmen international Aufsehen erregt haben. Jobbik (das Wort bedeutet "die Besseren" und "die Rechten" zugleich) ist die Gründerin der inzwischen europaweit berüchtigten paramilitärischen Organisation Ungarische Garde, deren Aufmärsche die ungarischen Roma in den vergangenen zwei Jahren in Angst und Schrecken versetzt haben.
Diese Wahl hatte noch andere bemerkenswerte Ergebnisse gebracht: Die rechte Volkspartei Fidesz errang die absolute Mehrheit (mit 56,37 Prozent), die Sozialisten (MSZP) des vor Kurzem zurückgetretenen Ministerpräsidenten Gyurcsány bekamen mit 17,37 Prozent kaum mehr Stimmen als die Rechtsradikalen, und die ehemalige Bürgerrechtspartei der demokratischen Opposition, SZDSZ, versank mit etwas über zwei Prozent in der Bedeutungslosigkeit.
Nun ist es für konsolidierte westliche Gesellschaften an und für sich kein Drama, wenn an den Rändern des Parteienspektrums rechte Organisationen auftauchen. Es gibt überall radikale nationalistische oder gegen Fremde gerichtete Auffassungen, die häufig reale Probleme zur Grundlage haben und die auf irgendeine Weise artikuliert werden müssen. Solange die politische Elite und die Bevölkerung imstande sind, die realen Probleme aufzugreifen, freiheitsfeindliche oder menschenverachtende Ansichten zu hegen und in der öffentlichen Rede dagegenzuhalten, sind sie keine Gefährdung von Freiheit und Demokratie. Anders sieht es aber mit der Partei Jobbik aus: Deren Wahlergebnisse und Aktionen sollten sowohl den Europäern als auch den Ungarn große Sorge bereiten. Denn Jobbik ist nicht einfach rechtsradikal, sondern eine nationalsozialistische Partei, die eine ständisch verfasste Gesellschaft, die Destabilisierung des Staates, den Angriff auf sein Machtmonopol und die Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen, die zusammengenommen gut zehn Prozent der Ungarn ausmachen, zum Ziel hat.
Jobbiks Erfolge sind nicht aus dem Himmel gefallen und sind nicht die Folge von Verelendung, wie fast einstimmig von westlichen Kommentatoren behauptet. Denn den Ungarn geht es trotz Krise und Verschuldung besser als jemals zuvor in ihrer Geschichte. Die Gründe haben stattdessen mit einer deformierten und schwachen Elite und mit ideengeschichtlichen Strömungen zu tun, die in Osteuropa zum allgemeinen Gedankengut gehören. Insofern sind die Lehren, die aus den Entwicklungen in Ungarn zu ziehen sind, durchaus für die ganze Region relevant.
Die Ansätze für einen extremen Nationalismus waren lange vor dem Zusammenbruch des Sozialismus da, existierten unter den Kommunisten ungebrochen fort und haben über viele Jahrhunderte die ungarische Geschichte geprägt. Ungarn gehört zu jenen Ländern, die sehr spät und unter sehr komplizierten Bedingungen den Weg der Nationwerdung beschritten. Nach 150 Jahren Türkenherrschaft wurde es nach dem Sieg der Habsburger über das Osmanische Reich am Anfang des 18. Jahrhunderts zum Teil der Monarchie. Dieser Zustand dauerte bis zum Ausgleich mit Österreich 1867 an. Die lange monarchische Zugehörigkeit stand am Anfang des klassischen mittelosteuropäischen Dilemmas, das sich als das Gegensatzpaar Fortschritt gegen Vaterland manifestierte. Fortschritt - technisch, kulturell und gesellschaftlich - kam aus fremden Impulsen: aus Österreich, von Deutschen und von Juden. Das Vaterland verlangte aber, so die Logik des Denkens im 19. Jahrhundert, dass man sich gegen alles Fremde behauptete, Sprache, Sitten und Gebräuche gegen fremde Einflüsse bewahrte und die Fremden des Landes vertrieb.
Dieses Widerspruchspaar wurde zum Grundmuster des ungarischen Denkens und Handelns bis in die Gegenwart, und auf dieses Grundmuster lagerten sich immer neue große Konflikte und Widersprüche auf und verliehen ihm dadurch seine wahre Explosionskraft. Während der Industrialisierung war dies der Gegensatz von Hauptstadt und Land: Auf der einen Seite befand sich das sündige Budapest (das damals wie heute fast ein Drittel der Bevölkerung auf sich vereinte) stellvertretend für alles Fremde, Verdorbene, Frivole und Jüdische. Der Hauptstadt gegenüber stand das vermeintlich natürliche, ursprüngliche, das "echt ungarische" Land.
Hinzu kam, dass sich die Ungarn, als Juniorpartner Österreichs in der Monarchie, immer schon als eine Art Herrenvolk verstanden, voller tiefer Verachtung für ihre Nachbarn und Minderheiten. Der Antisemitismus, die Verachtung der Roma, aber auch der Slowaken, Rumänen, Ukrainer war seither immer präsent. Hinzu kam mit dem Ende des Ersten Weltkriegs der Frieden von Trianon, der das Land etwa zwei Drittel seines Staatsgebiets beraubte und damit ausgerechnet die verhassten Slowaken, Rumänen und Ukrainer "belohnte". Damit war die gegen jeden aufrechten Ungarn gerichtete Verschwörungstheorie komplett und nur natürlich, dass Ungarn im Zweiten Weltkrieg aus Hoffnung auf Grenzrevisionen bis zum Schluss treuer Verbündeter Deutschlands blieb.
Unter den Kommunisten gab es keine auch nur einigermaßen reflektierte Auseinandersetzung mit den ungarischen Verbrechen an der Seite der deutschen Nationalsozialisten, nur erniedrigende Pauschalurteile und Meinungsverbote. Die unter der Verbotsdecke gärende nationale Frage trug in großem Maße dazu bei, dass die kommunistische Herrschaft von innen heraus zerbrach.
Nach dem Systemwechsel öffnete sich Ungarn in einem nie erlebten Tempo der Weltwirtschaft und wurde von der Globalisierung buchstäblich überrannt. Ein Land, das vom Kommunismus in Isolationshaft gehalten wurde, erlebte mit einem Schlag alle wunderbaren und auch gefährlichen Einflüsse der modernen Welt. Dem waren viele, vielleicht sogar die meisten nicht gewachsen. Wenn heute Jobbik mit dem Slogan "Ungarn den Ungarn" in den Wahlkampf zieht, dann weiß jeder, was gemeint ist: weg mit allem, was unverständlich, kompliziert, global, jüdisch und amerikanisch ist. Zurück zu den einfachen, wahren, aber allen anderen überlegenen ungarischen Werten wie Vaterland, Nation, Gott und Familie, und unter diesen Umständen darf die Forderung nach der Rückgabe der durch Trianon verlorenen ungarischen Gebiete nicht fehlen.
Jobbik hätte allerdings keinen so fruchtbaren Boden für ihre Ideen vorgefunden, hätte nicht die andere Siegerin der Europawahlen, die rechte Volkspartei Fidesz, seit dem letzten Wahlsieg der Sozialisten 2006 eine allgemeine Atmosphäre der nationalen Ausgrenzung geschaffen. Die gegnerischen Parteien, namentlich die Sozialisten und die liberale SZDSZ, wurden nicht wie Vertreter anderer politischer Ideen, sondern als Verräter und vaterlandslose Gesellen, Gegner des Ungarntums schlechthin behandelt. Auch jetzt, angesichts der Aussicht auf einen großen Wahlsieg spätestens im nächsten Frühjahr, droht Fidesz seinen Gegnern nicht etwa mit ihrer Ablösung, sondern mit der Vernichtung für immer. Erst durch Fidesz, und insbesondere ihren Vorsitzenden Viktor Orbán, wurden kaum kaschierter Rassismus und Antisemitismus in der politischen und öffentlichen Sprache salonfähig.
Als vor zwei Jahren Jobbik mit der Organisierung der Ungarischen Garde begann, traf sie nicht nur auf ein dankbares rassistisches und antisemitisches Umfeld, sondern konnte auch sehr gegenwärtige Probleme für sich nutzen. Der sprunghafte Anstieg der Produktivität in der Wirtschaft, der Einzug der Hochtechnologie in viele vorher von ungelernter Arbeit dominierte Bereiche wie dem Bau, traf die unterdurchschnittlich oder gar nicht gebildeten Zigeuner zusammen mit einer untersten Schicht der Hilfsarbeiter dramatisch. Die Jobs, die sie bis dahin verrichteten, die Scheinarbeitsplätze des Sozialismus, verschwanden. Ganze dörfliche Gemeinden, deren traditionelle Strukturen ohnehin in Auflösung begriffen waren, versanken in Arbeitslosigkeit und Kriminalität. Nun rächte sich, dass zu Zeiten des Sozialismus die Zigeuner bestenfalls ruhiggestellt wurden. Die Polizei, durch den Legitimitätsverlust der sozialistischen Regierung selbst geschwächt, traute sich bald nicht mehr in die Problemgebiete und überließ sie sich selbst. In diese Lage platzte die Gründung der Ungarischen Garde, die von vielen verwahrlosten Dörfern vor allem in den östlichen Landesteilen begrüßt wurde. Das Gewaltmonopol des Staates war zwar vorher schon ins Wanken geraten, jetzt aber setzte die Ungarische Garde an diesem Schwachpunkt an und vertiefte das Problem damit noch. Das Kräftemessen mit den Roma nimmt an Heftigkeit zu. Brand- und Mordanschläge auf Romafamilien häufen sich. Die Wahlstatistiken zeigen, dass der Zulauf von Jobbik in jenen Regionen am stärksten war, wo die Roma einen hohen Anteil an der Bevölkerung stellen. In vielen Gegenden gründen nun die Roma im Gegenzug Selbstschutzorganisationen.
Das allgemeine Gefühl der Unsicherheit begünstigt totalitäre und autoritäre Lösungswünsche. Die Sehnsucht nach der starken Hand wächst, und es gibt gute Gründe, zu befürchten, dass einige politische Protagonisten nur darauf warten, sie zu bedienen. Mit einer Zweidrittelmehrheit, die nach den Europawahlen Fidesz und Jobbik hätten, ließe sich die Verfassung ändern in Richtung einer autoritären Präsidialherrschaft. Diese hat in Ungarn durchaus Tradition: Kaiser Franz Joseph von Habsburg, Miklós Horthy, der Reichsverweser, und János Kádár, der kommunistische Statthalter der KPdSU, bilden eine Kontinuität der diktatorisch-patriarchal herrschenden Vorbilder, die der Weltsicht eines Viktor Orbán nicht fern liegen dürften. Die schwachen und durch Korruption ausgehöhlten Institutionen, das käufliche Rechtssystem werden ihn an der Verwirklichung dieses Projekts nicht hindern.
-------------------------------------------------------------------------------------------------------