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Gesendet: Donnerstag, 12. März 2009 12:29
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Betreff: 20 Jahre sind vergangen.
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WELT ONLINE – Germany
Zeit für einen neuen Husarenstreich
Von Boris Kálnoky 12. März 2009, 03:22 Uhr
Wirtschaftlich durchschreitet Ungarn ein tiefes Tal, doch eröffnet die Krise auch Chancen. Die schwächelnde Währung und die damit verbundene hohe Kaufkraft des Euro steigern die Attraktivität des facettenreichen Landes
Magyaren denken gern über ihr Anderssein nach. Sie haben keine Verwandten in Europa, ihre Sprache ist für jeden Indoeuropäer ein Buch mit sieben Siegeln, ihre Geschichte voller seltsamer Glanztaten, denen Scheitern folgt. Wer erinnert sich an die Stürmung Berlins? Nein, nicht 1945. 1757, im Siebenjährigen Krieg, als 5000 Ungarn das Wort "Husarenstreich" ins kollektive Gedächtnis der Deutschen brannten. Sie forderten ein Dutzend rechte Damenhandschuhe als Souvenir - und zogen wieder ab. Ähnlich galant preschten die Ungarn voran, als sie 1989 den Eisernen Vorhang niederrissen. Das kleine Land, von sowjetischen Truppen besetzt, erkannte plötzlich die Zukunft und tat, was andere nicht wagten. Gemeinsam mit Österreich baute man zuerst Grenzsperren ab; dann folgte eine Sternstunde der Menschheit, als demokratische Opposition und (formal) kommunistische Regierung zueinanderfanden, um die Grenze zu öffnen. Von der konservativen "Ungarischen Demokratischen Union" kam die Idee eines grenzübergreifenden "Paneuropa-Picknicks", die Regierung spielte mit und öffnete einen Grenzübergang. Zuerst nur drei Stunden lang, und einige Tage später, am 10. September, endgültig. Zehntausende DDR-Bürger strömten nach Österreich, in die Freiheit. Osteuropas Unrecht-Regime brachen bald darauf wie ein Kartenhaus zusammen.
20 Jahre sind vergangen. Ungarn galoppierte begeistert gen Westen, gefolgt von langsameren Ländern, die auch ihren Platz in der EU suchten. Alles ohne Krawalle, ohne Blutvergießen. Ausländisches Kapital strömte ins Land, gelockt von niedrigen Steuern, niedrigen Löhnen, einem ausgezeichneten Bildungsgrad der Arbeitskräfte und einer pflichtbewussten Arbeitsmoral. Autohersteller schätzten die ungarischen Facharbeiter. Hightech-Firmen erkannten das Potenzial (preiswerter) ungarischer Wissenschaftler und verlegten ihre Forschungsabteilungen nach Budapest. Alles schien wunderbar zu laufen. Die Russen zogen sich zurück, Ungarn wurde Mitglied der Nato. Als das Land 2004 in die EU aufgenommen wurde, schien das die Krönung wahrgewordener Träume und Startpunkt in eine wunderbare Zukunft.
In Wirklichkeit ächzte es bereits im Gefüge. Rückblickend sind die Fehler klar genug: Die erste konservative Regierung unter Ministerpräsident Antall tat zu wenig, um neues Blut in die sozialistisch besetzten Medien zu bringen. Die nächste bürgerliche Regierung unter Viktor Orban versäumte es, den Staatshaushalt zu sanieren. Dem folgte eine Aufschrei der Sozialisten und ihrer Medien - und der Machtverlust. Die hohen Staatsschulden stammten zum Teil noch aus der Zeit vor der Wende, als Ungarn seinen lockeren "Gulaschkommunismus" mit begrenztem Privatsektor auf Pump finanzierte.
Die Sozialisten gaben Geld aus - für Beamte, Rentner, Minderheiten, für die Finanzierung von Mindestlöhnen. Kurzum: für alles, was die Wähler bei Laune hielt. Steuern wurden erhöht. Ausländisches Kapital, bis dahin entzückt von Ungarn, kehrte dem Land nun den Rücken. Der Staat nahm Kredite auf, und die neue Mittelklasse auch, um sich den Traum vom Neuwagen und vor allem von der eigenen Wohnung zu gönnen. Es waren Valuta-Kredite, zumeist in Schweizer Franken, für den Staat wie für die Privatleute. Aber bezahlt wurden und werden die Raten in ungarischen Forint. Als die Wirtschaftskrise im vergangenen Jahr losbrach, stürzte die Landeswährung ab. Es wird immer teurer, die Kredite abzuzahlen, für den Staat wie für die Hunderttausende Privatbürger. Ungarn stand vor dem Offenbarungseid.
Aus dem einstigen Husarensturm gen Brüssel ist ein lahmes Hinken geworden, der Klassenprimus wurde zum Schlusslicht der neuen EU-Länder. Soziale Spannungen drohen, speziell bezüglich der Minderheit der Roma. Sie stellen zehn Prozent der Bevölkerung, erhalten aber einen überproportionalen Anteil der sozialen Leistungen, für die immer weniger Geld da ist.
20 Jahre nach der Abkopplung von Moskau ist die ungarische Fluggesellschaft Malév heute in russischem Besitz. Man ist abhängig von russischem Erdgas. 20 Jahre nachdem Ungarn den Eisernen Vorhang niederriss, warnt Ministerpräsident Gyurcsány vor dessen Rückkehr. Es ist politische Rhetorik eines Mannes, der an der momentan schwierigen Situation seines Landes nicht unbeteiligt ist und der nun auf Geld von Europa hofft. Was er meint, ist aber eine reale Gefahr: eine neue wirtschaftliche Kluft zwischen den traditionellen EU-Ländern und den neuen Beitrittsländern. In Ungarn wächst der Zweifel, ob es überhaupt eine gute Idee war, Europa so toll zu finden. Doch Moskau ist noch schlimmer. Und so sind die Magyaren dort, wo sie eigentlich immer waren: auf der ewigen Suche nach ihrem Platz auf dem Kontinent.
Wie immer es auch weiter geht - man darf gespannt sein auf den nächsten Husarenstreich, auf die nächste kühne Idee aus Ungarn. Sie wird sicher kommen.
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